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02. September 2007, von Michael Schöfer
Einer Nation, die solche Professoren hat, gehört die Zukunft


"Der Mensch lebt nicht vom Geld allein", sagt Herfried Münkler, deutscher Politikwissenschaftler und Professor an der Humboldt-Uni in Berlin. "Die jüngste Debatte über die Höhe der Hartz-IV-Zahlungen hat wieder einmal eine zentrale Schwäche unserer Gesellschaft offengelegt: ihre notorische Neigung, alle Probleme in Geldfragen zu übersetzen und deren Lösung in der Höhe der erforderlichen Zahlungen zu suchen", erläutert er uns. "Das Grundproblem aber ist: Die Geldforderung wird einmal mehr an den Staat adressiert. Von Zivilgesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement ist nicht die Rede, auch nicht von dem Grundsatz der Selbstverantwortlichkeit, der so gern bemüht wird, wenn es um die Abwehr staatlicher Zu- und Eingriffe geht. Das Beispiel, mit dem die Forderung nach Erhöhung der Hartz-IV-Sätze in der jüngsten Debatte begründet wurde, war immer wieder, dass man mit dem aktuell verfügbaren Geld kein frisches Obst und Gemüse kaufen könne. Oder allenfalls beim Discounter, auf keinen Fall aber im Bioladen. (...) Man fragt sich, warum angesichts dieser Beispiele keine Diskussion über die [kostenlose] Bereitstellung von Schrebergärten oder Gartenstücken eröffnet worden ist. Damit könnte immerhin nicht nur das Defizit an Obst und Gemüse gemindert werden, sondern auch etwas gegen das von den Langzeitarbeitslosen immer wieder beklagte Empfinden von Nutzlosigkeit getan werden. (...) Gesellschaften, denen in dieser Situation nichts anderes einfällt, als über eine Erhöhung von Geldzuwendungen nachzudenken, zeichnen sich weder durch Kreativität noch Einfallsreichtum aus." [1]

Recht hat er. Find' ich gut, die Schrebergarten-Theorie von Münkler. Sein Hinweis ist ohne Zweifel kreativ und einfallsreich. Aber warum nur Obst und Gemüse anbauen? Kühe halten, ist auch eine Lösung. Ist die Milch nicht gerade erheblich teurer geworden? Selbst melken, heißt ab sofort die Devise. Und später kann man aus dem Kuhleder sogar Schuhe herstellen. 3,65 Euro stehen dem Kind eines Hartz IV-Empfängers pro Monat zu. Das ist natürlich viel zu wenig, da kommt die Kuh gerade recht. Wie wäre es darüber hinaus mit Hühnerhaltung? Frische Eier direkt vom Käfig auf den Frühstückstisch. Zudem haben Schrebergärten meist einen Brunnen, der sich hervorragend als Getränke-Reservoire eignet. Cola ist ohnehin ungesund. Zu guter Letzt lässt sich das Gartenhaus bestimmt als preisgünstiger Wohnraum herrichten. So betrachtet, kann man die Hartz IV-Regelsätze wahrscheinlich noch um ein paar Euro kürzen. Dient alles dem Staat. Es lebe die Subsistenz-Wirtschaft. Außerdem: Kenntnisse im Gemüseanbau und der Viehhaltung kann jede moderne Volkswirtschaft gut gebrauchen. Darauf kann man doch aufbauen. Schließlich gilt es, die Langzeitarbeitslosen marktgerecht zu qualifizieren.

Das Dumme ist bloß, dass es einfach zu viele Hatz IV-Empfänger gibt. Laut Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit gibt es zur Zeit 5.289.000 Empfänger in 3.730.000 sogenannten Bedarfsgemeinschaften. [2] Dem Deutschen Landkreistag (DLT) zufolge sind es sogar 7,4 Mio. Hilfeempfänger. [3] Man bräuchte also mindestens 3,73 Mio. Schrebergärten. Und vermutlich ebenso viele Kühe. Woher sollen die kommen? Hierzulande gibt es rund 380.000 landwirtschaftlichen Betriebe, sagt der Deutsche Bauernverband. Ob die noch etwas abzwacken können (Land, Kühe)?

Wie auch immer, einer Nation, die solche Professoren hat, gehört jedenfalls die Zukunft.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 30.08.2007
[2] Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarktstatistik August 2007, PDF-Datei mit 3,9 MB
[3] Der Tagesspiegel vom 31.07.2007