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27. Februar 2009, von Michael Schöfer
Wie in einem schlechten Film


Wenn man Bücher über die Wirtschaftskrise in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und die daraus resultierenden politischen Folgen liest, denkt man unwillkürlich: Haben die das nicht kommen sehen? Warum haben die nicht frühzeitig etwas dagegen gemacht? Und jetzt stecken wir selbst mitten im Beginn (!) einer veritablen Wirtschaftskrise, von der keiner weiß, wie sie am Ende ausgeht. Die US-Wirtschaft ist im vierten Quartal 2008 geradezu abgestürzt, aufs Jahr hochgerechnet beträgt das Minus satte 6,2 Prozent. "In Japan brach das Bruttoinlandsprodukt am Jahresende mit einer auf das Jahr hochgerechneten Rate von gut 13 Prozent ein, in Deutschland um 8,4 Prozent." [1] Im laufenden Jahr sind kaum bessere Zahlen zu erwarten, eher schlechtere. Das ist wenigstens der "gefühlte" Verlauf. Den Optimismus unseres neuen Wirtschaftsministers kann man getrost unter der Rubrik "Psychologie" einordnen.

Eine Hiobsbotschaft jagt die andere: Die Hypo Real Estate ist ein Fass ohne Boden, andere Banken, etwa die HSH Nordbank, womöglich ebenso. Die Dresdner Bank macht 6,3 Mrd. Euro Miese, Opel steht eventuell vor der Pleite, bei Schaeffler sieht es nicht besser aus. Aus Amerika kommt bloß noch Schockierendes: "Der staatlich kontrollierte größte US-Hypothekenfinanzierer Fannie Mae hat im Schlussquartal 2008 einen enormen Verlust von 25,2 Milliarden Dollar erlitten. Im Gesamtjahr erreichte das Minus damit schwindelerregende 58,7 Milliarden Dollar." [2] General Motors schrieb 2008 einen Verlust von 30,9 Mrd. Dollar, der US-Versicherungskonzern American International Group (AIG) muss in Kürze wahrscheinlich 100 Mrd. Dollar melden. Verbraucher und nichtfinanzielle Unternehmen sollen mit 25.000 Mrd. US-Dollar verschuldet sein. Total verrückt. 25.000 Milliarden! Googeln Sie mal bei "Google News" mit dem Suchbegriff "Verlust" - es wird Ihnen gewiss schwarz vor Augen. Halten Sie das eigentlich noch aus?

In scharfem Kontrast dazu steht die Ruhe in den hiesigen Fußgängerzonen. Merken Sie dort etwas von der Wirtschaftskrise? Ich nicht. Und bei Umfragen ist die FDP mittlerweile bei den berühmt-berüchtigten 18 Prozent angelangt. Ausgerechnet die neoliberale FDP. 18 Prozent! Kapieren Sie das? Ich nicht. Sitzen die Menschen zu Hause vollkommen apathisch auf dem Sofa und schauen sich kurz vor dem "Tatort" in der Tagesschau halt ein bisschen Weltwirtschaftskrise an, nebenbei Chips knabbernd und "Hey, haste mal noch 'n Bier" rufend? Naja, was soll man auch machen, werden Sie einwerfen. Richtig. Man starrt auf den Flachbildschirm und lässt die Hiobsbotschaften einfach an sich vorüberziehen. Wie in einem schlechten Film. Irgendwie scheint das nicht die angemessene Reaktion zu sein. Die Krise müsste die Menschen doch zu Millionen auf die Straße treiben. Vergiss es, höchstens zu Karneval. Jetzt müssten die etablierten Parteien doch massiv abgestraft werden. Fehlanzeige.

Ob die Menschen das vor 80 Jahren genauso erlebt haben (nur ohne Glotze)? Keine Ahnung. Am Ende mussten sie sich jedenfalls zuhauf in die Menschenschlangen vor den Arbeitsämtern einreihen. Später importierten wir dann zu allem Überfluss aus Österreich einen gewissen Schicklgruber. Markante Eigenschaften: untalentierter Kunstmaler, verkrachte Existenz, glühender Judenfeind mit Hang zum Größenwahn. Mensch, da hätte man doch etwas dagegen tun müssen. Aber was? Genau vor dieser Frage stehen wir heute erneut. Was soll man gegen die schier unaufhaltsam auf uns zurollende "Große Depression" tun? Von der ARD zu RTL umschalten hilft nur temporär, die Krise holt uns unwillkürlich ein. Überall. Spätestens am verdammt unsicher gewordenen Arbeitsplatz. Die Ruhe ist beängstigend. Ich sitze daheim auf dem Sofa und lamentiere: "Das darf doch nicht wahr sein." Ist es aber. Tja, leider.

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[1] Reuters vom 27.02.2009
[2] Focus vom 27.02.2009