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24. Mai 2010, von Michael Schöfer
Sparvorschläge


Wie bewältigen wir die Finanzkrise? Wie genügen die öffentlichen Haushalte dem Diktat der Schuldenbremse, ohne zugleich die Wirtschaft total abzuwürgen? Wie kommt der Staat überhaupt jemals von seinen Schulden (laut Bundesbank Ende 2009: 1,762 Billionen Euro oder 73,2% des BIP) wieder herunter? Fragen, auf die jeder gerne eine Antwort hätte. Leider hat uns Schwarz-Gelb, obgleich seit dem 28. Oktober 2009 offiziell im Amt, immer noch nicht verraten, wo denn konkret gespart werden soll. Steuererhöhungen schließt die Koalition ja explizit aus. Nach der für die Koalitionsparteien desaströsen Landtagswahl von Nordrhein-Westfalen (CDU -10,2%) wird dieses Vorhaben für die im Bund Regierenden gewiss nicht leichter.

Jens Berger (Der Spiegelfechter) empfiehlt in einem Artikel auf Telepolis zur Bewältigung der Schuldenkrise den "Königsweg Inflation". Die schleichende Enteignung aller Forderungen an den Staat "ist nach dem momentanen Sachstand auch der wahrscheinlichste Ausweg aus der Schuldenproblematik", schreibt Berger. Dabei hat er keineswegs eine Hyperinflation wie in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts im Auge, die sich quasi als kollektives Trauma in unsere Hirne eingebrannt hat, sondern eine maßvolle Geldentwertung: "Bei einer moderaten Inflation ist eine 'kalte Entschuldung' sogar bei einer stagnierenden oder sogar rückläufigen Wirtschaftsentwicklung möglich. Bei einer Inflation von 5% und einem stagnierenden Bruttoinlandsprodukt nimmt die relative Verschuldung ebenfalls um 5% ab, ohne dass auch nur ein Cent zurückgezahlt wurde, da die nominellen Steuereinnahmen ebenfalls durch die Inflation begünstigt werden, während der Schuldendienst gleich bleibt."

Doch wie erzeuge ich überhaupt eine moderate Inflation? Das ist gar nicht so leicht. Der gängigen Theorie zufolge ist, neben extern induzierten Preiserhöhungen (= importierte Inflation), beispielsweise bei den Energiepreisen (Stichwort: Ölkrise in den siebziger Jahren), die Ausweitung der Geldmenge für die Geldentwertung verantwortlich. Doch daran gibt es mittlerweile gewisse Zweifel. So hat etwa vor der Finanzkrise das deutliche Wachstum der Geldmenge im Dollarraum nicht zu einer Inflation bei den Lebenshaltungskosten geführt, vielmehr waren davon lediglich der Finanzsektor und der Immobilienmarkt betroffen. Dort entwickelte sich jedoch eine Spekulationsblase, die als Auslöser der gegenwärtigen Wirtschaftskrise gilt. Mit einer erneuten Ausweitung der Geldmenge provoziere ich also unter Umständen abermals eine Spekulationsblase, die in letzter Konsequenz (Stichwort: Rettungspakete für systemrelevante Bereiche) zu mehr, nicht zu weniger Staatsverschuldung führt. Auch vor der Einführung des Euro hat die Bundesbank regelmäßig ihr Geldmengenziel verfehlt, ohne dass es zu einem Ansteigen der Inflation gekommen wäre. [1]


Schreckgespenst Hyperinflation [Quelle: Wikipedia, Bild ist gemeinfrei]


Die Diskussion über die richtige Inflationstheorie füllt inzwischen ganze Bibliotheken, aber nach wie vor haben sich die Gelehrten nicht auf eine einzige verständigen können. Hier prallen divergierende Lehrmeinungen aufeinander, die unterschiedliche Ansätze verfolgen und daher logischerweise voneinander abweichende Konzepte der Inflationsbekämpfung bzw. -steuerung beinhalten. Außerdem hat die ökonomische Realität bislang noch jeder Theorie - zumindest in Teilbereichen - widersprochen. Es gibt nicht die Inflationstheorie, es gibt eine ganze Fülle davon.

Reden wir über Sparziele. Dass die Politik die gerade erst installierte Schuldenbremse wieder aus dem Grundgesetz eliminiert, ist kaum anzunehmen. Das würde, unabhängig von der Sinnhaftigkeit des Vorhabens, jegliches Vertrauen der Kapitalanleger zunichte machen - mit unabsehbaren Folgen für die Finanzmärkte (Stichwort: PIIGS-Krise). Und Steuererhöhungen stoßen sich an den erklärten Grundsätzen der Regierungskoalition. Angela Merkel: "Mit mir wird es in der nächsten Legislaturperiode keine Erhöhung der Mehrwertsteuer geben, weder des vollen noch des reduzierten Mehrwertsteuersatzes." [2] Horst Seehofer: "Ich werde keinen Koalitionsvertrag unterzeichnen, wenn darin eine höhere Mehrwertsteuer enthalten ist. Wenn Steuersenkungen sinnvoll sind, um Wachstum und Arbeitsplätze zu befördern, dann bewirken Steuererhöhungen genau das Gegenteil. Sie sind Gift für die Wirtschaft und kommen nicht in Frage.“ [3] CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla: "Ich schließe definitiv jede Form von Steuererhöhungen - auch Mehrwertsteuersatz-Erhöhungen - für die gesamte nächste Legislaturperiode aus." [4] Von der "Steuersenkungspartei" FDP ganz zu schweigen.

Bleibt also tatsächlich nur das Sparen. Doch wo? Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble muss schließlich bis 2016 in jedem Jahr mindestens 10 Mrd. Euro einsparen. Nehmen wir beispielsweise das Ehegattensplitting, die steuerliche Begünstigung von Ehepartnern mit unterschiedlich hohem Einkommen (§ 32a Abs. 5 EStG). 20,6 Mrd. Euro kostet uns das jährlich. Ob die Ehepartner Kinder haben, ist dabei vollkommen unerheblich. Das Ehegattensplitting ist folglich ein Anachronismus. Schaffen wir das Ehegattensplitting ab und geben die Hälfte des Einsparvolumens in Form einer Kindergelderhöhung an Ehepartner mit Kindern zurück, haben wir die 10 Mrd. Euro, die im nächsten Bundeshaushalt eingespart werden müssen, schon beisammen. Es könnte so einfach sein, allerdings ist ausgerechnet das Ehegattensplitting die heilige Kuh der Union, die bringt deshalb lieber die Abschaffung der Steuerbefreiung der gesetzlichen oder tariflichen Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit ins Spiel (§ 3b EStG, Mindereinnahmen des Bundes 876 Mio. Euro). Mit "mehr Netto vom Brutto" ist es dann aber vorbei.

Kommen wir zu anderen Subventionen. Es ist populistisch, die Abschaffung sämtlicher Steuervergünstigungen zu fordern. Steuern steuern - eine Binsenweisheit. In bestimmten Sektoren der Wirtschaft muss der Staat wenigstens am Anfang durch Zuschüsse oder Steuervergünstigungen unterstützend eingreifen. So hätten wir etwa in Europa keine Flugzeugindustrie (Stichwort: Airbus), wenn es keine Anschubfinanzierung gegeben hätte. Das Gleiche gilt in Bezug auf regenerative Energieträger (Stichwort: Klimaschutz). 2009 betrugen dem Subventionsbericht der Bundesregierung zufolge alle Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes zusammengenommen 29,5 Mrd. Euro (in den Ländern und Gemeinden kamen weitere 21 Mrd. Euro zusammen). [5] Vor diesem Hintergrund stellt sich unweigerlich die Frage: Muss Flugbenzin wirklich steuerfrei sein (§ 27 Abs. 2 EnergieStG), das kostet den Bund immerhin 680 Mio. Euro? Und warum gibt es für Umsätze der Zahntechniker und Zahnärzte Steuerermäßigungen (§ 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG, Mindereinnahmen des Bundes 220 Mio. Euro)? Es ließen sich, politischer Wille vorausgesetzt, sicherlich noch mehr Einsparungen realisieren, die nicht das ohnehin spärliche Wachstum gleich wieder abwürgen.

Die Aufgabe der Regierenden ist gewiss nicht leicht, sie haben sich selbst in eine politische Sackgasse manövriert, aus der sie nur schwer wieder herauskommen. Die Auflösung des Gordischen Knotens käme nämlich einer Quadratur des Kreises gleich (gleichzeitig Steuersenkungen, Einhaltung der Schuldenbremse, mehr Netto vom Brutto für Arbeitnehmer). Aber die Lösung dieser Aufgabe ist auch nicht völlig unmöglich, der vom Kollegen Jens Berger erwähnte "Königsweg Inflation" ist keineswegs die einzig gangbare Strategie. Inflation träfe darüber hinaus insbesondere die Kleinsparer, die Arbeitnehmer (deren Löhne hinter der Preisentwicklung zurückbleiben) und die von Tansfereinkommen des Staates lebenden Menschen (Rentner, Hartz IV-Empfänger etc.). Die großen Vermögensbesitzer haben schon von jeher Mittel und Wege gefunden, um trotz Inflation ihre Vermögenswerte zu sichern, zum Beispiel durch den Kauf von Immobilien oder anderen Sachwerten. Sogar die Hyperinflation nach dem ersten Weltkrieg hat überwiegend die Mittelschicht getroffen, sie führte faktisch zu einer Enteignung der gesellschaftlichen Mitte. Die politischen Folgen sind bekannt.

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[1] vgl. FAZ vom 21.07.2004
[2] Reuters vom 27.06.2009
[3] Die Welt-Online vom 27.06.2009
[4] CDU vom 26.06.2009
[5] Bundesministerium der Finanzen, Zweiundzwanzigster Subventionsbericht, Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2007-2010, Seite 5 und 19, PDF-Datei mit 3,7 MB