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29. Mai 2010, von Michael Schöfer
Kopfpauschale absurd


War die Kopfpauschale zumindest vom Grundgedanken her der lobenswerte Versuch, die Sozialabgaben wenigstens zum Teil von den Arbeitnehmereinkommen abzukoppeln und in begrenztem Ausmaß der Steuerfinanzierung zuzuführen, bleibt davon nach den aktuellen Plänen von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler nichts mehr übrig. Bei der Kopfpauschale sollte jeder unabhängig von seinem Einkommen den gleichen Krankenkassenbeitrag zahlen. Da dies Geringverdiener überproportional belastet hätte, sah das ursprüngliche Konzept vor, den notwendigen sozialen Ausgleich über Steuern zu finanzieren. Schätzungen haben, je nach Höhe der Kopfpauschale, ein Ausgleichsvolumen von 20 bis 35 Mrd. Euro ergeben.

Jetzt lesen wir, dass der Sozialausgleich nicht mehr über Steuern finanziert werden soll, sondern vielmehr Sache der Beitragszahler bleibt. "Um die Belastungen für Geringverdiener abzufedern, sollen einkommensstarke Kassenmitglieder deutlich stärker belastet werden. (…) Zumindest ein Teil davon soll nach den Plänen durch einen Anstieg der Beitragsbemessungsgrenze eingenommen werden." [1] Weshalb die Regierung dann überhaupt noch an der Kopfpauschale festhält, ist schleierhaft, die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze hätte man auch im bisherigen System vornehmen können.

Hätten sich bei einer Steuerfinanzierung alle Steuerzahler an den Gesundheitskosten beteiligt, werden künftig, sofern sich Rösler durchsetzt, allein die Arbeitnehmer mit den steigenden Kosten des Gesundheitswesens belastet (es ist ja beabsichtigt, die Arbeitgeberbeiträge einzufrieren). Sollte die Kopfpauschale je einen Sinn gehabt haben, ist er nun endgültig dahin. Dann kann man die Kopfpauschale auch gleich bleiben lassen, an ihr festzuhalten ist unter diesen Umständen vollkommen absurd. Will man die Arbeitnehmer wirklich entlasten, ein Motiv, dessen Aufrichtigkeit bei Schwarz-Gelb ohnehin anzuzweifeln ist, wäre die Einführung der Bürgerversicherung, bei der alle Bürger mit allen Einkommen in die Finanzierung der Gesundheitsversorgung einbezogen werden, nach wie vor der wesentlich bessere Weg. Da die Regierungskoalition offenbar trotzdem an der Kopfpauschale festhält, will sie entweder die zusätzliche Belastung der Arbeitnehmer trickreich verschleiern oder handelt aus ideologischer Borniertheit heraus. Wahrscheinlich sogar beides.

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[1] Süddeutsche vom 27.05.2010