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14. August 2011, von Michael Schöfer
Höchst anrüchig


Klaus Dieter Reichardt (CDU) war von 1994 bis 1998 Bundestagsabgeordneter und von 2001 bis 2011 Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg. Als Bundestagsabgeordneter wurde er im inzwischen aufgelösten Wahlkreis 180 (Mannheim II) direkt gewählt und war danach ordentliches Mitglied des Verteidigungsausschusses. Dessen Aufgabe "besteht darin, Beschlüsse des Bundestages vorzubereiten, Empfehlungen abzugeben und mittels seines Selbstbefassungsrechtes eine begleitende und mitsteuernde parlamentarische Kontrolle der Verteidigungspolitik und der Streitkräfte zu gewährleisten." [1] Seit 1997 ist Klaus Dieter Reichardt "als Industrie- und Verbandsberater tätig, zu 100 % Eigentümer der Industrie- und Verbandsberatung Reichardt GmbH, Mannheim. Seine Firma berät seit Gründung renommierte Kunden mit Schwerpunkt public business national wie international." [2] Darüber hinaus agiert er in der "Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik" (DWT) als Sektionsleiter von Nordbaden. Die DWT ist ein Lobbyverband der deutschen Rüstungsindustrie.

Momentan streitet sich Reichardt vor dem Mannheimer Landgericht mit dem Containerhersteller Graeff um die Zahlung einer Provision, der CDU-Politiker fordert 230.000 Euro "für die Vermittlung von Verträgen über die Lieferung von Containern, vor allem an die Bundeswehr in Afghanistan. Der mittlerweile verstorbene Unternehmer Heinrich Graeff und Reichardt hatten zu diesem Zweck einen Vertrag geschlossen, der von 1999 bis April 2008 lief. Reichardt sollte seine Kontakte als Landtagsabgeordneter und ehemaliges Mitglied im Bundesverteidigungsausschuss nutzen, um dem Containerhersteller Graeff Aufträge zu sichern. Dafür soll er zunächst einen Pauschalbetrag von 4000 DM im Monat bekommen haben, später sei die Summe auf 1000 Euro reduziert worden. Dafür sei aber die Provision von drei auf 3,5 Prozent angehoben worden." [3] Die Mannheimer Firma Graeff "produziert Stahlhallen, Hangars und Containerpavillons für militärischen und zivilen Bedarf. Sie hat Militärhallen vom Kosovo bis nach Usbekistan geliefert. Sie ist aber auch gefragt, wenn Container für Schulen oder Kitas benötigt werden." [4]

In den Rechtsstreit will ich mich gar nicht einmischen, das ist Sache des Gerichts. Aber die Auseinandersetzung kann man auch von einer völlig anderen Warte aus betrachten, denn eigentlich werden Abgeordnete vom Volk in die Parlamente gewählt, um dort die Interessen des Volkes zu vertreten. Reichardt hat jedoch - unterstellt, die Darstellung des Mannheimer Morgen ist korrekt - die dort hergestellten Kontakte genutzt, um sie gewinnbringend einzusetzen. Gewinnbringend für sich selbst. Und genau das ist in meinen Augen höchst anrüchig, schließlich sollte es in den Parlamenten um die Interessen der Wähler gehen und nicht um die geschäftlichen Interessen der Abgeordneten. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Ein Bundestagsabgeordneter ist Mitglied im Verteidigungsausschuss und gleichzeitig Mitglied im Lobbyverband der Rüstungsindustrie. Darüber hinaus schließt er wenige Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag einen Vertrag mit einer Firma, die militärische Bedarfsgüter herstellt, und kassiert Geld für die Vermittlung von Aufträgen durch die Bundeswehr.

Wenn Klaus Dieter Reichardt nebenher bei der evangelischen Kirche oder als Historiker gearbeitet hätte, er hat laut Wikipedia evangelische Theologie und Geschichte an der Kirchlichen Hochschule Neuendettelsau studiert, wäre das etwas anderes gewesen. Nebenverdienste sind nicht per se verwerflich, zumal der Landtag von Baden-Württemberg in jener Zeit, in der Reichardt dort Abgeordneter war, offiziell als Teilzeitparlament galt. Reichardts Verhalten mag daher legal sein, moralisch ist es meiner Meinung nach fragwürdig. Es hat, wie man hier in Baden-Württemberg sagt, ein "Gschmäckle". Der ehemalige Abgeordnete bestätigt mit seinem Verhalten einschlägige Vorurteile: Im Volk ist nämlich die Ansicht weitverbreitet, Politiker seien hauptsächlich auf ihren eigenen materiellen Vorteil bedacht. Und ich will dem hier nicht einmal widersprechen.

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[1] Wikipedia, Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages
[2] Wikipedia, Klaus Dieter Reichardt
[3] Mannheimer Morgen vom 13.08.2011
[4] Stuttgarter Zeitung vom 30.03.2011