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28. Mai 2013, von Michael Schöfer
Nicht jeder Zweifler ist ein zweiter Galilei


Das Umweltbundesamt ist in die Kritik geraten. Warum? "Anlass ist eine Broschüre des deutschen Umweltbundesamts, getitelt 'Und sie erwärmt sich doch' [1], in der mit drastischen Mitteln gegen Skeptiker vorgegangen wird, die den Menschen als Ursache der Klimaerwärmung negieren. Darin gibt es nicht nur Kapitelüberschriften wie 'ExxonMobil finanziert Institutionen für die Verbreitung von Falschinformationen', in der Publikation der Bundesbehörde werden auch dezidiert Namen von Personen und Vereinen genannt, die Behauptungen verbreiten, die 'nicht mit dem Kenntnisstand der Wissenschaft übereinstimmen'. (…) 'Schwarze Liste', 'Brandmarkung', 'Pranger' - das sind die Assoziationen deutscher Medien, die in unterschiedlicher Intensität auf die Namensnennungen reagierten. Henryk M. Broder fühlt sich in der Welt, in der Broschüre mehrmals als Heimat klimaskeptischer Meinungen genannt, an die Reichskulturkammer des Nazi-Regimes erinnert." [2] Andernorts spricht man von "Grenzüberschreitung" und meint, das Bundesamt sei "zu weit gegangen". [3]

Nun haltet mal die Luft an. Die Wissenschaft lebt schließlich vom kritischen Diskurs, dem Austausch divergierender Meinungen. Und dann soll es einer "Brandmarkung" oder einem "Pranger" gleichkommen, wenn sich das Umweltbundesamt mit den Argumenten der Klimaskeptiker auseinandersetzt? Warum eigentlich? Denen kann doch gar nichts besseres passieren, als dass man sich mit ihren Thesen befasst. In der Broschüre des Umweltbundesamtes wird u.a. auf die Veröffentlichung von Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning ("Die kalte Sonne. Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet") hingewiesen. Das Umweltbundesamt setzt dem lediglich seine Argumente dagegen. Ist das denn unlauter? Ist Widerspruch eine Beleidigung? Wenn ja, käme jede Diskussion rasch zum Erliegen. Egal über was. Okay, man mag darüber streiten, ob der Hinweis, dass "weder Vahrenholt noch Lüning in der Klimaforschung oder auf verwandten Gebieten der Physik der Atmosphäre gearbeitet und geforscht haben", wirklich angebracht ist. Aber falls das tatsächlich stimmt, ist er durchaus zulässig.

Und dass der Energiekonzern Exxon dubiose Studien finanziert, die den Klimawandel bestreiten, ist ebenfalls kein Geheimnis, darüber informieren seit Jahren zahlreiche Publikationen. Ein Beispiel: "In den USA tobt eine heftige Debatte um den menschlichen Anteil an der Klimaerwärmung. Eine Untersuchung enthüllt jetzt die Hintergründe einer detailliert geplanten Verdunkelungs- und Verwirrungskampagne. Im Zentrum: der Ölkonzern Exxon Mobil." [4] Es ist doch interessant zu wissen, wer sich hinter bestimmten Aktivitäten verbirgt. Wenn etwa Legehühnerbarone Studien zur artgerechten Haltung von Nutztieren finanzieren, die Bekleidungsindustrie Untersuchungen zur Sicherheit der Kleiderfabriken in Bangladesch sponsert oder die Arbeitgeberverbände Berichte über die angeblich segensreiche Wirkung des Niedriglohnsektors bestellen, sollten die Bürger darüber wenigstens Bescheid wissen. Dann können sie nämlich die dort präsentierten Argumente besser einordnen. Das Umweltbundesamt deshalb, wie es Henryk M. Broder tut, mit der Reichskulturkammer des Nazi-Regimes zu vergleichen, ist absolut indiskutabel. Typisch Broder.

Ich frage mich: Warum diese Aufregung? Weder wurden Publikationen der Klimaskeptiker zensiert oder verboten noch schreibt das Umweltbundesamt den Bürgern vor, was sie zu denken haben. Jeder kann sich nach wie vor seine eigene Meinung bilden. "Schwarze Listen" à la Joseph McCarthy sind schon gar nicht im Umlauf. Was soll diese unsinnige Behauptung? Außerdem: Nicht jeder Zweifler ist ein zweiter Galilei, dem himmelschreiendes Unrecht widerfährt. Mein Rat: Regt euch ab und vertraut auf die Kraft der Argumente. Wer glaubt recht zu haben, hat dieses hysterische Gebrüll sowieso nicht nötig. Es heißt ja nicht ohne Grund: Je lauter die Stimme, desto schlechter die Argumente. Oder, wie es der verstorbene französische Politiker Raymond Barre formulierte: "Die erbarmungsloseste Waffe ist die gelassene Darlegung der Fakten." Von Gelassenheit ist in dieser Diskussion allerdings wenig zu spüren.

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[1] Umweltbundesamt, PDF-Datei mit 3,4 MB
[2] Der Standard vom 27.05.2013
[3] Die Welt vom 21.05.2013
[4] Financial Times Deutschland vom 11.01.2007