Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



14. Mai 2017, von Michael Schöfer
Wir sehen immer nur die Gewinner


Wir sehen immer nur die Gewinner: Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen, Emmanuel Macron in Frankreich oder Salvador Sobral in der Ukraine. Grenzenloser Jubel, pompöse Amtseinführung, große Schlagzeilen in der Presse. Doch wie müssen sich die Verlierer fühlen? Die tun mir ehrlich gesagt leid. Menschlich gesehen. Wie lebt es sich mit der Gewissheit, der unbeliebteste Präsident Frankreichs gewesen zu sein? Wie muss sich François Hollande innen drin fühlen? Heult er heute Nacht vor lauter Verzweiflung ins Kissen? Oder besäuft er sich erst einmal? Davon wird wohl außer seinem engsten Umfeld niemand Kenntnis nehmen. Es interessiert wohl auch keinen. Wie leben Politiker mit dem Bewusstsein, es ordentlich verbockt zu haben? David Cameron etwa. Haben Sie von dem seit seinem schmachvollen Rücktritt noch einmal in der Zeitung gelesen? Wird Hannelore Kraft genauso in der Versenkung verschwinden?

Der Portugiese Salvador Sobral hat gestern in Kiew den Eurovision Song Contest gewonnen. Wissen Sie noch, wer Deutschland im vergangenen Jahr in Stockholm vertreten hat? Das war eine gewisse Jamie-Lee Kriewitz, die im Finale den 26. Platz erreichte. Von 26 Teilnehmern! 2015 wurde Ann Sophie ebenfalls Letzte - mit blamablen null Punkten. Germany? Zero points. Wie mag sich Ann Sophie heute fühlen? Womöglich lese ich die falschen Blätter, aber ich habe nichts mehr von ihr gehört. Sie vielleicht? Die Sieger stehen im Rampenlicht, die Verlierer dagegen müssen sich wie ein begossener Pudel davonschleichen. Was aus Emmanuel Macron wird, bekommen wir künftig bestimmt fast jeden Tag zu sehen. Aber heute Abend kommt François Hollande mit der Gewissheit nach Hause, in den Geschichtsbüchern auf ewig als Versager dazustehen. In den Geschichtsbüchern! Die Kinder lesen das in ihren Schulbüchern! In Wikipedia! Überall! Die Verlierer tun mir ehrlich gesagt leid, dabei sind sie die wahren Helden. So eine Niederlage wegzustecken und sich nicht gleich aus dem Fenster gestürzt zu haben, verdient eigentlich unsere Hochachtung.