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03. April 2024, von Michael Schöfer
Wer ein Blutbad wählt, wird auch ein Blutbad bekommen


Liebe Amerikaner,

Ihr lebt nun schon seit 1776 in einer Demokratie, das ist, trotz aller Höhen und Tiefen, die jedes Land durchmacht, echt bewundernswert. Zum Vergleich: In jenem Jahr wurde im Königreich Böhmen (Österreich) gerade erst die Folter abgeschafft. Per Erlass durch Erzherzogin Maria Theresia. Etwas widerwillig und nur aufgrund des Einflusses ihres Sohnes Joseph. Was sie trotzdem nicht davon abhielt, als entschiedene Antisemitin in die Geschichte einzugehen. Doch das nur am Rande. Deutschland existierte damals noch gar nicht, sondern war bloß Teil eines ziemlich unübersichtlichen Konglomerats von formal selbständigen Fürstentümern und Königreichen, das sich hochtrabend als "Heiliges Römisches Reich" bezeichnete.

Überspringen wir die folgenden 150 Jahre. In den Wirren der Nachkriegsjahre des Ersten Weltkrieges bildeten sich in Deutschland diverse radikale Gruppierungen und Parteien. Eine davon war die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) von Adolf Hitler, der eigentlich aus Österreich stammte und zwanzig Jahre später die Welt in ein schier unbeschreibliches Blutbad stürzte. Wenn also jemand wirklich etwas von Blutbädern versteht, dann wir Österreicher und Deutschen. Allerdings erkannten wir das erst im Nachhinein, unglücklicherweise nicht im Voraus, was zweifelsohne wesentlich besser gewesen wäre. Diese Fahrlässigkeit hat etlichen Millionen das Leben gekostet.

1923 versuchte Hitler die demokratisch gewählte Regierung in Berlin gewaltsam zu stürzen. Nach dem gescheiterten Putschversuch (Marsch auf die Feldherrnhalle in München) wurde er zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, aber - heute völlig unverständlich - schon nach neun Monaten vorzeitig wieder entlassen. Während der Haftzeit entstand sein Buch "Mein Kampf". Hätten es seinerzeit alle gelesen und insbesondere ernst genommen, wäre der Welt viel Leid erspart geblieben. Seitdem wissen wir: Wenn jemand Menschen als Tiere oder Ungeziefer bezeichnet, eine Diktatur und ein Blutbad ankündigt, darf man das keinesfalls bagatellisieren. Kurz gesagt: Wenn man jemanden wählt, der ein Blutbad ankündigt, bekommt man oft auch ein Blutbad geliefert. Nur ist es dann halt viel zu spät.
  • "Wir werden die Kommunisten, Marxisten, Faschisten und linksradikalen Gangster ausrotten, die wie Ungeziefer in den Grenzen unseres Landes leben, die lügen, stehlen und bei Wahlen schummeln und alles in ihrer Macht Stehende unternehmen werden - legal oder illegal - um Amerika zu zerstören und den amerikanischen Traum zu zerstören." [1]
  • "Sie [die Migranten] vergiften das Blut unseres Landes." [2]
  • "Die Demokraten sagen: 'Bitte nennen Sie sie nicht Tiere, sie sind Menschen'. Ich sage: 'Nein, das sind keine Menschen, das sind keine Menschen, das sind Tiere'." [3]
Wer hat's gesagt? Adolf Hitler? Nein, das war Donald Trump, obgleich diese Aussagen genauso gut auch von Hitler stammen könnten, schließlich hat er in seinem Buch bezogen auf die Juden das Gleiche geschrieben bzw. angekündigt:
  • "Er [der Jude] ist und bleibt der ewige Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günstiger Nährboden dazu einlädt. Die Wirkung seines Daseins aber gleicht ebenfalls der von Schmarotzern: wo er auftritt, stirbt das Wirtsvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab." (…) Die "blutsmäßigen Vergiftungen, die unseren Volkskörper, besonders seit dem Dreißigjährigen Kriege, trafen, führten nicht nur zu einer Zersetzung unseres Blutes, sondern auch zu einer solchen unserer Seele." [4]
Wir wissen daher noch sehr gut, wohin solche brandgefährlichen Hetzreden geführt haben: In eine totalitäre Diktatur, in den Zweiten Weltkrieg und in den Holocaust. "Das ist bei uns nicht möglich", werden Sie als überzeugte Amerikaner vielleicht erwidern. Dabei hat der amerikanische Schriftsteller Sinclair Lewis schon 1935 eindringlich vor dieser trügerischen Gewissheit gewarnt, und zwar in seinem Buch "It Can’t Happen Here" (deutsche Ausgabe: "Das ist bei uns nicht möglich"). Keiner verlangt von Euch, Adolf Hitlers "Mein Kampf" zu lesen, aber die Lektüre von "It Can’t Happen Here" ist noch immer ungemein lohnenswert und durch die Präsidentschaftskandidatur von Donald Trump sogar aktueller denn je. Der Auschwitz-Überlebende Primo Levi (1919-1987) hat es auf den Punkt gebracht: "Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben. Es kann geschehen, überall."

Wenn also jemand das Ausrotten von Andersdenkenden ankündigt, sie als Ungeziefer bezeichnet, über die angebliche Vergiftung des Blutes schwadroniert und obendrein noch ein Blutbad ankündigt, sollte man das wörtlich nehmen. So wie er es gesagt hat. Wortwörtlich. Denkt daran: Wer ein Blutbad wählt, wird auch ein Blutbad bekommen.

Wie bitte, es wird schon nicht so schlimm kommen? Ja, das haben 1933 viele Deutsche ebenfalls geglaubt.

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[1] Spiegel-Online vom 13.11.2023
[2] SRF vom 07.01.2024
[3] tagesschau.de vom 03.04.2024
[4] Adolf Hitler, Mein Kampf, 851. - 855. Auflage 1943, Seite 344 und 437