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27. März 2001, von Michael Schöfer
Der Käpt'n Blaubär-Club
oder
Wie inszeniere ich einen Krieg?


Politikverdrossenheit, genauer Politikerverdrossenheit, ist nicht zuletzt auf den zweifelhaften Umgang unserer Volksvertreter mit der Wahrheit zurückzuführen. In jüngster Zeit haben hierzulande - neben dem Parteispendenskandal der CDU - insbesondere die äußerst zweifelhaften Rechtfertigungsversuche des Kosovo-Einsatzes der NATO diese allzu berechtigten Vorbehalte abermals bekräftigt. Der amerikanische Senator Hiram Johnson erkannte bereits 1917: "Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit." Und so verwundert es nicht, wenn auch heute den Beteuerungen der Politiker wenig Glauben geschenkt wird. Selbst schuld könnte man da einwerfen. Doch Rudolf Scharping, einst als SPD-Parteivorsitzender eine glatte Fehlbesetzung und deshalb - wie später, als er Fraktionsvorsitzender bleiben wollte - schmählich davongejagt, mußte ja unbedingt in die Rolle des Käpt´n Blaubär schlüpfen, dem allseits bekannten Lügenbär aus der Sendung mit der Maus. Uns, dem Volk, war bei dem ganzen Schauspiel lediglich die Rolle von Hein Blöd zugedacht, leichtgläubig sollten wir den Verlautbarungen des Hardthöhenchefs vertrauen. Wir spielen dagegen lieber Käpt´n Blaubärs Enkel, die den Lügenbär im allgemeinen durchschauen und der Flunkerei überführen. Reden wir also über Käpt´n Blaubärs Seemannsgarn.

"Die Bundeswehr hat die Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung und kann darüber hinaus nur im Rahmen eines UNO- oder OSZE-Mandats für Friedensmissionen (...) eingesetzt werden", lautete - vor der Bundestagswahl 1998 - eine wesentliche Forderung der SPD. [1] Außerdem: "Die Rolle der Vereinten Nationen bei der Sicherung des Friedens (...) muß gestärkt werden." [2] Gleichlautend die Aussage des Koalitionspartners in spe: "Dauerhafter Frieden läßt sich nicht militärisch erzwingen. (...) Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze lehnen wir ab. [3] (...) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN akzeptieren nicht, daß die NATO ihre Rolle zu Lasten der UNO (...) ausweitet, um ihre eigene militärische Dominanz durchzusetzen. [4] Die deutsche Sektion der Juristenvereinigung Ialana, die 1988 auf Initiative der späteren Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) gegründet wurde, erläuterte der Öffentlichkeit unmißverständlich die rechtliche Situation: "Soweit Staaten (...) ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates eigene militärische Gewalt zum Schutze (...) fremder Staatsangehöriger im Ausland (...) einsetzten, ohne hierfür die Zustimmung des betroffenen Staates zu haben, handeln sie völkerrechtswidrig." [5] Da nach Art. 25 Grundgesetz die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind und für die Bewohner des Bundesgebietes unmittelbar Rechte und Pflichten erzeugen, würde ein solcher Einsatz auch gegen unsere Verfassung verstoßen.

Dem entsprachen auch, zumindest vor der Wahl, die Verlautbarungen von verschiedenen Spitzenpolitikern aller Parteien. Der damalige FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms sagte beispielsweise, ohne ein UN-Mandat sei der Eingriff in innerstaatliche Angelegenheiten "nicht zulässig". Von Karl-Heinz Hornhues (CDU), dem früheren Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, wurde diese Ansicht nachdrücklich unterstützt. [6] Jürgen Trittin, heute Bundesumweltminister, umriß seine Position wie folgt: "Die Grünen stünden (...) auch für Rechtstreue, etwa bei einem möglichen Einsatz in Kosovo. Mit einem solchen Eingreifen ohne UN-Mandat würde das Völkerrecht gebrochen." [7] Und der damals amtierende Außenminister Klaus Kinkel erinnerte sogar daran, daß im Falle einer Bundeswehrbeteiligung an einem Kosovo-Einsatz ohne UN-Mandat eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht drohe, das den Weg nur für Einsätze (...) unter dem UN-Schirm freigemacht habe. Das Kabinett verlangt für einen Militäreinsatz eine "gesicherte Rechtsgrundlage", so Kinkel. [8]

Selbst Joschka Fischer, heute Außenminister und Nachfolger Kinkels, pochte zu jener Zeit im Namen seiner Fraktion auf ein Mandat der Vereinten Nationen als Voraussetzung für ein militärisches Eingreifen. Die Staatengemeinschaft dürfe nicht von vornherein auf ein UN-Mandat verzichten und einer Völkerrechtsverletzung begegnen wollen, indem sie selbst das Völkerrecht verletze. Die grundsätzliche Ablehnung von Kampfeinsätzen, wie vom Wahlprogramm seiner Partei gefordert, hatte er damit aber schon über Bord geworfen - drei Monate nachdem es beschlossen wurde. Vorausschauend fügte er hinzu: Sollte Rußland ein UN-Mandat blockieren und Serbien in Kosovo morden und brandschatzen, dann trete eine "neue Lage" ein, die "neu zu bewerten" sei. [9] Monate später bezeichnete er jedoch einen NATO-Einsatz im Kosovo ohne UN-Mandat erneut als "problematisch". Wenn hier das Völkerrecht übergangen werde, könne das von anderen mächtigen Staaten "als Präzedenzfall zu ganz anderen Konsequenzen genutzt werden", so Fischer. [10] Auffallend hierbei: Eine (offenbar mit Blick auf Moskau) politische Begründung, hingegen keine juristische, die sich an der prinzipiellen Einhaltung des Völkerrechts orientiert. "Ohne einen Auftrag des UN-Sicherheitsrats (...) darf es kein direktes Eingreifen der NATO im Kosovo-Konflikt geben; sonst verkommt das Völkerrecht zum Selbstbedienungsladen und die NATO zum willfährigen Werkzeug der westlichen Großmächte", brachte die Frankfurter Rundschau die Ansicht der - vermeintlichen - Kriegsgegner mit einem Satz auf den Punkt. [11]

Die ungewöhnliche Phalanx, quer durch alle Parteien, hielt nicht lange stand: Am 25. Februar 1999 stimmten Koalition (SPD/Grüne) und Opposition (Union/ FDP) fast geschlossen für die Selbstmandatierung der NATO und einen - hierdurch völkerrechts- bzw. verfassungswidrigen - Militäreinsatz im Kosovo. Dafür votierten 556 Abgeordnete, dagegen 42, darunter die 36 PDS-Abgeordneten. Zehn enthielten sich. [12] Was hatte diesen rigorosen Umschwung bewirkt? Zumindest vordergründig läßt er sich mit einem Wort beschreiben: Racak. Mitte Januar 1999 wurde nämlich in den Medien davon berichtet, daß in einem Kosovo-Dorf namens Racak ein Massaker an 45 Kosovo-Albanern stattgefunden habe (später war nur noch von 40 Opfern die Rede). Die Presse schrieb damals von zivilen Opfern, die Genickschüsse aufwiesen und von den Serben hingerichtet worden seien. Das kam nicht von ungefähr.

Der Chef der OSZE-Mission, William Walker, erklärte nämlich: "Nach meiner Ankunft [am Tatort] führten mich Dorfbewohner zu der Stelle, wo ich, sehr zu meinem Entsetzen, die Leichen von über 20 Männern sah, die offensichtlich dort, wo sie lagen, exekutiert worden waren. (...) Obwohl ich nur die Leichen von 20 meist älteren Männern sah - vielen von ihnen war aus extrem naher Distanz in die Stirn, den Hinterkopf und die Schädeldecke geschossen worden -, haben andere Beobachter noch weitere Leichen gefunden. Insgesamt waren es 45 Leichen, darunter drei Frauen und ein Kind. Sie alle trugen zivile Kleidung. (...) Obwohl ich kein Anwalt bin - was ich sah, veranlaßt mich, das Ereignis ohne zu zögern als Massaker zu beschreiben, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit." [13] Bundesaußenminister Joschka Fischer und sein britischer Kollege Robin Cook verurteilten daraufhin sogleich die mutmaßliche Hinrichtung der Kosovo-Albaner. [14] Fischer bezeichnete diesen Vorfall später sogar als "Wendepunkt", der schließlich zum Entschluß des Westens geführt habe, gegen Jugoslawien Krieg zu führen. [15] Den serbischen Beteuerungen, es habe sich hierbei um UCK-Kämpfer gehandelt, die bei einem Gefecht gestorben seien, wurde nicht geglaubt. Das sei serbische Propaganda, hieß es unisono.

Mittlerweile sind jedoch Erkenntnisse ans Licht der Öffentlichkeit gelangt, die die These von einem Massaker an albanischen Zivilisten ernsthaft in Frage stellen und eher auf eine skandalöse Manipulation der öffentlichen Meinung schließen lassen: "Für das angebliche Massaker von Serben an örtlichen albanischen Zivilisten im Kosovo-Dorf Racak vom 15. Januar 1999 finden sich (...) in einem wissenschaftlichen Abschlußbericht finnischer Gerichtsmediziner keine Beweise. (...) Die Experten kämen nicht zu dem Ergebnis, in Racak sei eine Gruppe friedlicher albanischer Dorfbewohner von serbischen Sicherheitskräften exekutiert worden", las man nun mit einem Mal in der Presse. [16] Von Genickschüssen, ja sogar von einer hinrichtungsähnlichen Situation, konnte jetzt nicht mehr gesprochen werden. Im Gegenteil: bei 39 von 40 Opfern gibt "es keinen Beweis für aufgesetzte Schüsse oder Schüsse aus kurzer Entfernung." Die Autopsieprotokolle sprechen vielmehr anhand von Schußkanälen von "einer Vielzahl von Kugeln (...) aus völlig unterschiedlichen", überdies "zum Teil entgegengesetzten" Richtungen, wie sie für Gefechtssituationen typisch sind. [17] Der Chef der OSZE-Mission, William Walker, hat somit etwas "gesehen", was er - den Autopsieprotokollen zufolge - gar nicht sehen konnte. Entweder waren es also wirklich UCK-Kämpfer, wie die Serben behaupteten, oder Zivilisten, die unglücklicherweise ins Kreuzfeuer gerieten.

Wer verbirgt sich hinter diesem fragwürdigen "Beobachter"? William Walker ist in der Welt der Diplomatie eine dubiose Persönlichkeit: "In den frühen achtziger Jahren wurde Walker stellvertretender Missionschef in Honduras, als die CIA mit argentinischen Militärberatern eine Contra-Armee gegen das von Sandinisten regierte Nicaragua aufbaute. (...) Offenkundig unterstützte Walker die Contras und war gemeinsam mit Oliver North und seinem Vorgesetzten Elliott Abrams tief in die [illegale] Iran-Contra-Affäre verstrickt. (...) Während William Walker Botschafter in El Salvador war, tobte ein Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und der linksgerichteten Farabundo Marti National Liberation Front (FMLN). Im Verlauf der Kämpfe kamen mehr als 70.000 Menschen ums Leben, der größte Teil Zivilisten, die von Regierungstruppen und paramilitärischen Todesschwadronen getötet wurden. Der mutmaßliche Drahtzieher der Ermordung von Erzbischof Romero im Jahr 1980, Roberto d'Aubuisson, [wurde] von Walker wie auch von Abrams in Schutz genommen, obwohl unabweisbare Belege für seine Mittäterschaft vorlagen. Während die CIA d'Aubuisson 1981 als "egozentrisch und rücksichtslos" beurteilte und die Washington Post ihn 1994 einen "gemeinen Killer" nennt, erkannte Walker noch 1989 in ihm einen "Demokraten" und einen der "besten Politiker" El Salvadors." [18]

"Am 16. November 1989 überfiel eine bewaffnete Gruppe (Männer des von den USA ausgebildeten Alcatel-Militärbataillons) einen Schlafsaal der jesuitischen José-Simeon Cañas-Universität. Sie schossen sechs Priestern in den Kopf und ermordeten dann den Koch und dessen fünfzehnjährige Tochter. Jesuiten sagten aus, Walker sei ein stiller Teilnehmer des Massakers gewesen." [19] "Obwohl die Indizien auf die Führung der salvadorianischen Armee hinwiesen, versuchte Walker zunächst, die Verantwortung der FMLN anzulasten. (...) Bis zuletzt verteidigte Walker Rene Emilio Ponce, den von den USA begünstigten Generalstabschef der Armee El Salvadors, der nach dem Bericht der UNO-Kommission (...) die Hauptverantwortung für das Jesuiten-Massaker trug." [20] Wie man sieht, nahm es Walker in der Vergangenheit mit der Wahrheit und der Rechtstreue nicht so genau. Und ebensowenig trat er bislang als Verfechter von Demokratie und Menschenrechten in Erscheinung. Mitleid für die Täter hatte er dafür um so mehr. Das Schrecklichste, was er in seinem Leben gesehen habe, sagte William Walker in Racak. Wirklich? Man kann es angesichts seines ereignisreichen Werdegangs als Berufsdiplomat kaum glauben.

Ein mittlerweile klassisches Beispiel für derartige Methoden zur Manipulation der öffentlichen Meinung sind die Falschmeldungen über Verbrechen, die deutsche Soldaten im I. Weltkrieg angeblich an belgischen Zivilisten begangen haben sollen. In Großbritannien und Frankreich wurde die deutsche Armee nach Kriegsbeginn von der Propaganda als eine Horde von Barbaren dargestellt, die an Frauen und Kindern unsägliche Greuel begehen würden. In Lüttich wären beispielsweise belgische Mädchen auf offener Straße vergewaltigt worden, deutsche Soldaten hätten ein zweijähriges Kind mit dem Bajonett aufgespießt und einem Bauernmädchen die Brüste verstümmelt. Nach einem Bericht der britischen Times vom August 1914 wurden einem Baby, das sich an den Rock seiner Mutter klammerte, die Arme abgehackt. In Frankreich veröffentlichte man später sogar das Foto eines Babys ohne Arme. Dem war eine Zeichnung beigefügt, auf der deutsche Soldaten die Hände verspeisten. Mit Hilfe dieser Greuelmärchen sollte einerseits die "Heimatfront" aufgerüttelt und andererseits in den USA der Widerstand gegen den Kriegseintritt geschwächt werden. Unabhängig von der deutschen Kriegsschuldfrage, die hier nicht weiter erörtert werden soll, darf man jedenfalls eines feststellen: Die Fotos und Berichte waren im wesentlichen allesamt gefälscht. Eine belgische Untersuchungskommission konnte 1922, also vier Jahre nach Kriegsende, keine einzige dieser Behauptung bestätigen. [21]

Angebliche Babymorde spielten auch im Vorfeld des II. Golfkriegs eine nicht unwesentliche Rolle. Nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak (2. August 1990) hat eine der renommiertesten Public-Relations-Firmen Amerikas von den Citizens for a Free Kuwait (Bürger für ein freies Kuwait) 10,8 Mio. Dollar erhalten, um in den USA die Kriegsbereitschaft zu schüren. Die Mittel hierfür kamen von der kuwaitischen Regierung. [22] Zunächst wurde untersucht, was bei den US-Amerikanern den größten Abscheu erregt: Babymord. Anschließend sind "Zeugen" geschult worden, um vor dem Arbeitskreis für Menschenrechte des US-Kongresses und der UN-Vollversammlung "glaubwürdig" über die irakischen Untaten berichten zu können. Diese Rolle übernahm dann beispielsweise die 15jährige Tochter des kuwaitischen USA-Botschafters Saud Al Sabah, die - als Krankenschwester getarnt und mit dem Falschnamen "Nayirah" ausgestattet - mit tränenerstickter Stimme bei ihren Zuhörern starke Emotionen auslöste. Irakische Soldaten hätten, so berichtete sie, Babys aus ihren Brutkästen genommen und sie auf dem kühlen Krankenhaus-Fußboden von Kuwait-City sterben lassen. [23] Insgesamt sollten auf diese Art und Weise 312 Babys ermordet worden sein. Wie sich allerdings später herausstellte, hat es die Babymassaker nie gegeben. Die vermeintliche "Zeugin" war zum Zeitpunkt der irakischen Invasion gar nicht in Kuwait, sondern bei ihrem Vater in den USA. Das Ziel, bei der amerikanischen Bevölkerung die Akzeptanz für einen Waffengang herbeizuführen, wurde jedoch erreicht. Wenige Tage nach den "Zeugenaussagen" beschlossen die USA die "Operation Wüstensturm". [24] Die Parallelen zum Kosovo-Krieg sind bemerkenswert. In beiden Fällen wurde ein "Massaker" manipuliert bzw. frei erfunden. Und beide Male war es, nachdem die öffentliche Meinung hierdurch regelrecht aufgeputscht und kriegsbereit gemacht wurde, der Anlaß zum Losschlagen.

Später wurde munter weitergelogen. So bestritt etwa Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer Sitzung des SPD-Parteivorstands, daß die NATO den - in der Bevölkerung absolut unpopulären - Bodenkrieg plane. Er versicherte, Bodentruppen würden keinesfalls in die NATO-Angriffe einbezogen. Es gebe keine NATO-Planungen für einen Bodenkrieg. Auch Außenminister Joschka Fischer lehnte den Einsatz von Bodentruppen kategorisch ab. Nach einem Treffen mit seinem mazedonischen Amtskollegen Dimitrov sagte er: "Niemand redet hier von Bodentruppen", diese seien keine "machbare Alternative". Die Absage an NATO-Bodentruppen wurde auch bei der NATO selbst sowie durch die Regierungen in Washington und Paris bekräftigt. [25] Heute wissen wir es besser. Großbritannien und die USA hatten sich nämlich bereits auf einen Angriff mit Bodentruppen gegen die jugoslawischen Truppen im Kosovo verständigt. London und Washington einigten am 31. Mai 1999 auf einen detaillierten Invasionsplan. Nach der Vereinbarung zwischen London und Washington sollten innerhalb weniger Tage auch die übrigen NATO-Mitglieder dem Plan zustimmen. [26] Will man ernsthaft behaupten, der Bundeskanzler und der deutsche Außenminister wären hierüber Ende März nicht unterrichtet gewesen? Fischer gab freilich später in einem Interview unverblümt zu: "Wenn es nicht gelungen wäre, ein Schweigen der Waffen zu erreichen, wäre der Bodenkrieg gekommen." [27]

Die NATO sah sich trotz ihres imponierenden Aufklärungspotentials außerstande, den Verbleib von mehreren zehntausend Flüchtlingen zu ermitteln, die während des Krieges im Kosovo vorübergehend "verschwunden" waren. Außerdem war sie allem Anschein nach unfähig, bei ihren Bombardements hinreichend präzise zwischen Militärkonvois und Flüchtlingstrecks zu unterscheiden. "Kollateralschäden" nannte sie das euphemistisch. Verteidigungsminister Rudolf Scharping wußte dafür um so genauer von serbischen Greueltaten zu berichten: Ihm zufolge spielten "die Serben (...) mit abgeschlagenen Kinderköpfen Fußball", rissen "Schwangeren den Fötus aus dem Leib", "grillten diesen" und "stopften ihn wieder in den Leib [ihrer toten Mütter] zurück". [28] Scharping verfügte vermutlich über spezielle und recht detaillierte Informationskanäle, die er allerdings seinen Bündnisgenossen - aus welchen Gründen auch immer - vorenthalten hat. Sonst hätten diese die Flüchtlinge ja leicht gefunden und nicht über deren Verbleib herumgerätselt oder gar bombardiert. Bis zum heutigen Tag hat Scharping keinerlei Beweise für seine ungeheuerlichen Behauptungen vorlegen können.

Scharping war es auch, der von einer humanitären Katastrophe im Kosovo sprach, mit - angeblich schon vor Kriegsbeginn - weit über 400.000 Flüchtlingen und einer nicht zählbaren Zahl von Toten. Demgegenüber registrierte dort die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) im März 1999, also unmittelbar vor den NATO-Bombardements, nur 39 Tote. Und das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) stellte kurz nach Kriegsbeginn lakonisch fest: "Der Krieg in Kosovo hat bisher keine Massenflucht in Nachbarstaaten oder in Richtung Westeuropa in Gang gesetzt." [29] "Scharping liefert hierfür selbst einen Beweis. In seinem Buch findet sich auf Seite 233 eine Grafik über die Flüchtlingsentwicklung im Kosovo. Dort zeigt sich eine starke Zunahme der Flüchtlinge erst ab dem 27. März 1999, also drei Tage nach Beginn der NATO-Luftangriffe!", so Heinz Loquai, Brigadegeneral a.D. der Bundeswehr und Militärberater der OSZE. [30] "Die Legitimationsgrundlage für die deutsche Beteiligung war die sogenannte humanitäre Katastrophe, eine solche humanitäre Katastrophe als völkerrechtliche Kategorie, die einen Kriegseintritt rechtfertigte, lag vor Kriegsbeginn im Kosovo nicht vor." [31] Selbst die letzte NATO-Tagung vor Kriegsbeginn konstatierte: "Die Gewalt gehe eher von terroristischen Aktionen der [sogenannten albanischen Kosovo-Befreiungsarmee, Ushtria Clirimtare e Kosoves] UCK aus, die Serben übten dann allerdings mit unverhältnismäßiger Härte Vergeltung." [32]

Scharping ignorierte jedoch die Erkenntnisse der OSZE, des UNHCR und selbst die internen Einschätzungen seines Bündnisses. In der Öffentlichkeit behauptete er vielmehr, Erkenntnisse von einem Konzentrationslager zu haben, das die Serben angeblich im Fußballstadion von Pristina errichtet hätten. Dort würde man die Eltern und Lehrer von Kindern zusammentreiben und die Lehrer vor den Augen der Kinder erschießen. [33] Das verleitete Joschka Fischer gleich mehrfach zu dem empörten Ausspruch: "Nie wieder Auschwitz!" Womit beide Politiker, gerade hier in Deutschland, einer skeptischen Bevölkerung suggerierten, die Untaten der Serben seien mit denen des Nationalsozialismus vergleichbar. Bloß, daß die Deutschen diesmal auf der richtigen Seite mitmachen würden. Nach dem Krieg wurde indes nicht ein einziger Tatsachenbeweis vorgelegt. Kosovo-albanischen (!) Augenzeugen zufolge wurde das Stadion den ganzen Krieg über lediglich als Hubschrauberlandeplatz genutzt.

Doch die Lügen hörten nicht auf: Als in der Bevölkerung nach Kriegsbeginn die Unterstützung für die Bombardierungen umzukippen drohte, ging Scharping erneut mit einem Greuelmärchen an die Öffentlichkeit. Im südlichen Kosovo liegt das kleine Bauerndorf Rugovo. Dort ereignete sich am 29. Januar 1999 ein Gefecht zwischen der UCK und den Serben, wobei 24 Kosovo-Albaner und ein serbischer Polizist getötet wurden. Zwei Monate später, am 27. April 1999, stellte Rudolf Scharping diesen Vorfall mit Hilfe von Fotos als serbisches Massaker an albanischen Zivilisten dar. "Deshalb führen wir Krieg", bekräftigte er demonstrativ vor dem entsetzten Publikum. Der deutsche Polizeibeamte und OSZE-Beobachter Henning Hensch war damals vor Ort der erste neutrale Augenzeuge, in seinem offiziellen Ermittlungsbericht widersprach er aber der Behauptung von einem Massaker. "Die Darstellung des Verteidigungsministers war sachlich falsch. Er hat auf seiner Pressekonferenz einen Leichenberg gezeigt, um den Beweis eines Massakers per Bild antreten zu können. Doch die Fotos, die er gezeigt hat, entstanden definitiv nicht am Tatort. Vielmehr zeigen sie Leichen, die nach der polizeilichen Tatort-Inspektion von der Polizei zusammengelegt wurden, damit wir [die OSZE-Beobachter] sie besser identifizieren konnten. (...) Die Behauptung, es hätte sich um Zivilisten gehandelt, ist falsch, wenngleich einige zivil gekleidet waren: Darunter trugen sie Militärkleidung." [34]

Warum die ganzen Lügen? Dazu NATO-Sprecher Jamie Shea: "Nach dem Angriff auf den Flüchtlingskonvoi bei Djakovica [14. April 1999], dem ersten Unfall des Krieges, fiel die öffentliche Zustimmung in vielen Ländern, auch in Deutschland, um 20 bis 25 Punkte. Wir mußten sechs Wochen hart arbeiten, um die öffentliche Meinung zurückzugewinnen. (...) Die politischen Führer spielten nun die entscheidende Rolle für die öffentliche Meinung." [35] Hart arbeiten, warum? Jamie Shea: "Wenn wir die öffentliche Meinung in Deutschland verloren hätten, dann hätten wir sie im ganzen Bündnis verloren." Und damit vielleicht, das Vietnam-Debakel der USA an der "Heimatfront" läßt grüßen, auch den Krieg selbst. Das wollte man mit allen Mitteln verhindern. Wer einen völkerrechtswidrigen Krieg beginnt, der belügt auch schon mal die Öffentlichkeit daheim an den Fernsehschirmen. Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.

Den Vogel bei seinen Lügengeschichten schoß Käpt`n Blaubär von der Hardthöhe allerdings mit dem ominösen "Hufeisenplan" ab. Am 7. April verbreitete Scharping, er verfüge über "gesicherte Erkenntnisse, wonach Milosevic seit vorigen Oktober die Vertreibung der Kosovo-Albaner detailliert vorbereitet habe". Er kündigte weiterhin an, der Öffentlichkeit Details über den "Operationsplan Hufeisen" ("Potkova") und "solide Informationen über den Charakter Milosevics" zu präsentieren. [36] Das Konzept sei im Dezember 1998, also noch während der Verhandlungen in Rambouillet, von Milosevic und der Militärführung verabschiedet worden. Sein wichtigstes Ziel sei die Zerschlagung bzw. Neutralisierung der UCK sowie die Vertreibung der kosovo-albanischen Bevölkerung. [37] Mit den Operationen habe man noch vor Kriegsbeginn, im Januar 1999, begonnen.

Auszug aus Scharpings Tagebuch: "5. April 1999: Erhalte von Joschka aus Geheimdienstquellen ein Papier, das die Vorbereitungen und die Durchführung der Operation Hufeisen der jugoslawischen Armee belegt. Haben wir jetzt einen vollständigen Beweis über lange geplante serbische Vertreibungen im Kosovo? Sofortige Auswertung veranlaßt.

7. April 1999: Auswertung des Operationsplans Hufeisen liegt vor. Endlich haben wir einen Beweis dafür, daß schon im Dezember 1998 eine systematische Säuberung und die Vertreibung der Kosovo-Albaner geplant worden waren, mit allen Einzelheiten und unter Nennung aller dafür einzusetzenden jugoslawischen Einheiten (...) Die Informationen stammten aus einer zuverlässigen Geheimdienst-Quelle. Die Auswertung ergab ein erschreckend klares Bild." [38]

Details und solide Informationen ist er bis heute allerdings schuldig geblieben. "Die offensichtlichen Widersprüche und Ungereimtheiten in den zu diesem Plan verfügbaren Quellen (...) lassen erhebliche Zweifel aufkommen, ob ein solcher Plan tatsächlich existierte und dem Verteidigungsministerium vorlag", schreibt Heinz Loquai in seinem Buch. Die vermeintlichen Dokumente stammen vermutlich aus "unstrukturiertem analytischem Material eines Wissenschaftlers des bulgarischen Geheimdienstes", das über Österreichs Heeresnachrichtenamt (HNA) an die Nato-Außenminister gelangt ist und seien zudem zum Teil in kroatischer statt serbischer Sprache verfaßt (Beispiel: das serbische Wort für Hufeisen lautet "Potkovica", nicht "Potkova"). [39]

Diese Ungereimtheiten brachte Gregor Gysi (PDS) zur Sprache, der in der Sitzung des Bundestags am 15. April 1999 dazu folgendes äußerte: "Darf ich Ihnen sagen, was an diesem Plan merkwürdig ist? Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat die Originalüberschrift dieses Planes vorgelesen. Diese Überschrift war in Kroatisch und nicht in Serbisch verfaßt. Kann man sich ernsthaft vorstellen, daß das serbische Militär in kroatischer Sprache einen solchen Plan verfaßt? Da sind doch Zweifel geboten. Man weiß einfach nicht mehr, was man glauben und was man nicht glauben soll." Dafür wurde er heftig gescholten. All diesen Zweifeln zum Trotz erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder: "Die jugoslawische Regierung hat von Anfang an an den Feldzug der ethnischen Säuberung geglaubt und ihn geplant, einen Feldzug, dessen Zeuge wir heute sind. Das, meine Damen und Herren, kostete bis jetzt Tausende von Menschen im Kosovo das Leben. (...) Vertreibung und Mord waren längst im Gange, als die NATO ihre Militäraktion begann (...)." Rezzo Schlauch (Bündnis 90/Die Grünen): "Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Verbrechen von Milosevic gegen die Menschlichkeit von langer Hand geplant waren." [40] Kein Zweifel? An dieser Stelle sei nochmals an die - kurz nach Kriegsbeginn abgegebene - Feststellung des UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) erinnert: "Der Krieg in Kosovo hat bisher keine Massenflucht in Nachbarstaaten oder in Richtung Westeuropa in Gang gesetzt." [41] Seltsam genug, wenn Milosevic, zumindest den Worten des Bundeskanzlers zufolge, wirklich mit der Umsetzung des Hufeisenplans bereits vor Kriegsbeginn begonnen hätte.

Was war der eigentliche Zweck dieses Waffengangs? Der Balkan, von jeher ein politisches Pulverfaß, ist geopolitisch relativ uninteressant. Außerdem finden sich dort, im Gegensatz zu Kuwait, keinerlei für den Westen lebenswichtigen Rohstoffe. Ging es wirklich nur um die Menschenrechte? Wohl kaum, denn die werden beim NATO-Partner Türkei seit langem mit Füßen getreten, was im Bündnis ("eine Wertegemeinschaft") niemand richtig zu stören scheint. Ein politischer Berater der US-Regierung, Wayne Merry, hatte Zugang zu geheimen Planungsunterlagen der US-Regierung. "Manche Regierungsleute aus dem Außenministerium reden davon, dass Kosovo nur der Auftakt ist für zukünftige Kriege der NATO, die noch viel entfernter sein werden. Für Washington ging es nicht um die Demonstration der amerikanischen Führungsrolle in der NATO. Die wurde nie bestritten. Man wollte zeigen, dass die NATO überhaupt noch einen Zweck hat. Und dieser Zweck ist etwas ganz anderes, als die rein defensiven Aufgaben, für die die NATO gegründet wurde." [42]

Kosovo also nur der Auftakt für weitere "humanitäre Einsätze" der NATO, notfalls sogar gegen das Völkerrecht? Zumindest so erhalten die im Aufbau befindlichen Krisenreaktionskräfte ihren Sinn. Die NATO, der 1989 der historische Feind - die Sowjetunion - abhanden kam und die daraufhin in eine existenzbedrohende Sinnkrise hineinschlitterte, verabschiedet sich damit peu a peu von der Landes- und Bündnisverteidigung, ihrem ursprünglichen Gründungszweck. Und hierbei sind ihr offenbar alle Mittel recht: "In seiner Präambel bekennen sich die Mitglieder [der NATO] zu den Grundwerten der Freiheit, der Demokratie und des Rechts. In Artikel 1 verpflichten sie sich, in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen zu handeln, jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege zu regeln, den Frieden, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht zu gefährden sowie sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung und Gewaltanwendung zu enthalten. Mit einem Federstrich hat das bewaffnete Vorgehen der Allianz auf dem Balkan jede einzelne dieser konkreten friedenspolitischen Selbstverpflichtungen der Bündnispartner zu Makulatur gemacht." [43]

Künftig soll ihre Aufgabe also vielmehr darin liegen, die Interessen der westlichen Industriestaaten im Bedarfsfall auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Unabhängig davon, wie man diese Interessen letztlich definiert bzw. wodurch diese legitimiert sind. Und auf einem ökonomisch grenzenlos gewordenen Erdball (Stichwort: Globalisierung) sind solche Interessen notwendigerweise ebenfalls global. Krieg wird damit, wie vor dem Atomzeitalter, wieder zur Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln. Der eigenen Bevölkerung wird man die immer wiederkehrenden Waffengänge dann schon irgendwie schmackhaft machen. Wie wir gesehen haben, hat die NATO darin inzwischen reichlich Erfahrung gesammelt. Außerdem wird man sich nicht darauf verlassen können, daß sie die Propaganda in Zukunft ähnlich tölpelhaft inszeniert wie Rudolf Scharping anno 1999.

Doch wie wir heute sehen, werden die zugrundeliegenden Probleme durch Militäreinsätze meist nur unzureichend gelöst. Im Irak ist Saddam Hussein nach wie vor der unumschränkte Herrscher und weiterhin eine latente Bedrohung für die ganze Region. In Jugoslawien ist zwar inzwischen das Regime von Slobodan Milosevic zusammengebrochen, die Kosovo-Albaner, für die man diesen Krieg angeblich vom Zaun gebrochen hat, entpuppen sich dagegen gerade als "Terroristen", wie man sie neuerdings nennt. Mit ihren Angriffen auf die serbische Minderheit im Kosovo und darüber hinaus auf die angrenzenden Regionen (z.B. Tetovo/Mazedonien), sind nunmehr sie der destabilisierende politische Faktor. Ein fünfter Balkan-Krieg steht unmittelbar bevor, diesmal ausgelöst vom früheren Verbündeten, der UCK. Die gefeierten Helden von einst mutierten zu den Schurken von heute. Und das geneigte Publikum reibt sich verwundert die Augen.

Angesprochen auf die mangelnde Unterstützung des Westens für die UCK in Mazedonien äußerte UCK-Mann Adnan: "Wenn es erst [durch die mazedonische Armee verursachte] Opfer in den Albaner-Dörfern gebe, werde die internationale Gemeinschaft ihre Haltung ändern und die albanische Seite unterstützen." [44] Wie man ein Massaker inszeniert und die internationale Gemeinschaft täuscht, hat die UCK ja in Racak und Rugovo bereits erfolgreich vorexerziert. Vermutlich müssen wir deshalb auf das nächste "Massaker" nicht mehr lange warten. Käpt´n Blaubär steht bestimmt schon wieder - wie gehabt - mit "gesicherten Erkenntnissen" und "soliden Informationen" in den Startlöchern.

"Muß (...) - anders als in Diktaturen - auch in Demokratien wirklich hingenommen werden, daß zur Sprache des Krieges Übertreibung und Täuschung, ja sogar die gezielte Manipulation der eigenen Bevölkerung gehören? Namen und Begriffe wie "Massaker von Rugovo", "Massaker von Racak", "KZ von Pristina" oder "Hufeisenplan" sind Synonyme für diese Nachfrage vieler bestürzter Bürger und Bürgerinnen (...). Ist der mittlerweile weit verbreitete Eindruck wirklich berechtigt, gerade in Deutschland sei die gezielte Manipulation der Öffentlichkeit am erfolgreichsten gelungen, weil am meisten übertrieben und am stärksten getäuscht wurde? (...) Darf sich eine Staatenkoalition, wie im Kosovo-Krieg geschehen, überhaupt über geltendes Völkerrecht hinwegsetzen? Darf der Westen seinen eigenen politischen Wertekanon verleugnen? Darf die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verfassung zuwiderhandeln?" fragen hierzu die Hamburger Friedensforscher Dieter S. Lutz und Reinhard Mutz in einem offenen Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. [45]

Die Propaganda vermag nicht nur das eigene Volk zu täuschen, dem man Rechtfertigungsgründe für das eigene Handeln liefern muß. Nein, auch die Verführer sind in gewissem Sinne die Verführten. Denn Lügengebäude erhalten im Laufe der Zeit eine Eigendynamik, gegen deren Suggestionskraft man nur noch schlecht ankommt - selbst wenn man es möchte und es die Verhältnisse im Grunde sogar erfordern. Die früheren Balkan-Kriege sind hierbei das beste Beispiel. Der Propaganda zufolge waren nämlich die Täter ausschließlich auf der Seite der Serben, alle anderen deren unschuldige Opfer. Ohne hier Menschenrechtsverletzungen und Gewalttaten durch die Serben leugnen zu wollen, muß doch wenigstens der Hinweis erlaubt sein, daß z.B. auch die Kroaten einiges auf dem Kerbholz haben, etwa die nicht weniger brutale Vertreibung von 200.000 Serben aus der Krajina. Die Stimmungsmache, die sich gegen die Serben richtete, überdeckte allerdings die Untaten der anderen. Die Verführer errichten sich mit der Manipulation der öffentlichen Meinung ihr eigenes Gefängnis, dem sie nur schwer wieder entfliehen können. Vielleicht haben sie auch irgendwann damit begonnen, an ihre eigene Propaganda zu glauben.

Propaganda neigt notwendigerweise zum Schwarz-Weiß-Denken, Differenzierungen (Grautöne) sind ihr fremd. Das liegt in der Natur der Sache, denn das Wesen der Propaganda ist ja gerade die einseitige und grobschlächtige Darstellung von in Wahrheit erheblich komplexeren Sachverhalten. Deren eingehende Erörterung, das sorgsame Abwägen des Für und Wider, würde die beabsichtigten Handlungen nur aufhalten oder letztlich sogar verhindern. Kurzfristig mag man Erfolg haben, langfristig tut man sich damit aber keinen Gefallen. Wie schon Abraham Lincoln feststellte: "Man kann alle Leute eine Zeitlang an der Nase herumführen, und einige Leute die ganze Zeit, aber nicht alle Leute alle Zeit." Die eignen Lügen führen bei den Protagonisten bekanntermaßen zu Realitätsverlust respektive zur Heuchelei, und beim Adressaten, dem Volk, zu Zynismus oder eben Politikverdrossenheit (sprich Desinteresse). Sprengstoff für jedes funktionierende Gemeinwesen.

Bei der Beurteilung dessen, was getan werden muß, ist jedoch eine genaue und schonungslos offene Analyse unabdingbar. Nur so können überhaupt die richtigen Schlußfolgerungen gezogen werden, an denen das Handeln ausgerichtet sein sollte. Denkblockaden und Vorurteile führen nur in die Irre, verleiten zu falschen Maßnahmen und enden allzu oft in einem Desaster. Die Geschichte ist voll von einschlägigen Beispielen. Es stellt sich die Frage, wann wir endlich daraus lernen.

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[1] Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit, SPD-Wahlprogramm für die Bundestagswahl 1998, Seite 76
[2] Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit, SPD-Wahlprogramm für die Bundestagswahl 1998, Seite 77
[3] Grün ist der Wechsel, Programm zur Bundestagswahl 98, Seite 135
[4] Grün ist der Wechsel, Programm zur Bundestagswahl 98, Seite 142
[5] Frankfurter Rundschau v. 15.10.1998
[6] Frankfurter Rundschau v. 18.06.1998
[7] Frankfurter Rundschau v. 01.09.1998
[8] Frankfurter Rundschau v. 18.06.1998
[9] Frankfurter Rundschau v. 18.06.1998
[10] Frankfurter Rundschau v. 05.10.1998
[11] Frankfurter Rundschau v. 15.06.1998
[12] Frankfurter Rundschau v. 26.02.1999
[13] taz Nr. 6353 vom 23.1.2001
[14] Frankfurter Rundschau v. 18.01.1999
[15] Jürgen Elsässer, Kriegsverbrechen, Hamburg 2000, Seite 50
[16] Frankfurter Rundschau v. 18.01.2001
[17] Jürgen Elsässer, Kriegsverbrechen, Hamburg 2000, Seite 54
[18] Dr. Jürgen Scheffran, Wissenschaftlicher Assistent in der interdisziplinären Forschungsgruppe IANUS an der Technischen Universität Darmstadt
[19] Ueli Schlegel, Verlagsgenossenschaft Vorwärts PdAS & ihre Deutschschweizer Sektionen
[20] Dr. Jürgen Scheffran, Wissenschaftlicher Assistent in der interdisziplinären Forschungsgruppe IANUS an der Technischen Universität Darmstadt
[21] John R. MacArthur, Die Schlacht der Lügen, München 1993, Seite 62f
[22] John R. MacArthur, Die Schlacht der Lügen, München 1993, Seite 56ff
[23] John R. MacArthur, Die Schlacht der Lügen, München 1993, Seite 70f
[24] Frankfurter Rundschau v. 01.04.1992
[25] Frankfurter Rundschau v. 30.03.1999
[26] Frankfurter Rundschau v. 19.07.1999
[27] Frankfurter Rundschau v. 10.07.1999
[28] Frankfurter Rundschau v. 22.04.1999
[29] Frankfurter Rundschau v. 27.03.1999
[30] Konkret 5/2000 Heinz Loquai "Scharpings Planspiel"
[31] Wortprotokoll der ARD-Sendung "Es begann mit einer Lüge" v. 08.02.2001
[32] Wortprotokoll der ARD-Sendung "Es begann mit einer Lüge" v. 08.02.2001
[33] ARD-Sendung "Sabine Christiansen" v. 28.03.1999
[34] Jürgen Elsässer, Kriegsverbrechen, Hamburg 2000, Seite 88
[35] Wortprotokoll der ARD-Sendung "Es begann mit einer Lüge" v. 08.02.2001
[36] Frankfurter Rundschau v. 08.04.1999
[37] Frankfurter Rundschau v. 19.05.1999
[38] Konkret 5/2000 Heinz Loquai "Scharpings Planspiel"
[39] Frankfurter Rundschau v. 22.03.2000, Heinz Loqiai "Der Kosovo-Konflikt - Wege in einen vermeidbaren Krieg" (Nomos-Verlag Baden-Baden)
[40] Konkret 5/2000 Heinz Loquai "Scharpings Planspiel"
[41] Frankfurter Rundschau v. 27.03.1999
[42] Wortprotokoll der ARD-Sendung "Es begann mit einer Lüge" v. 08.02.2001
[43] Dieter S. Lutz und Reinhard Mutz, Frankfurter Rundschau v. 24.03.2001
[44] Frankfurter Rundschau v. 27.03.2001
[45] Frankfurter Rundschau v. 24.03.2001