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03. April 2005, von Michael Schöfer
Bestie Mensch


Man ist immer wieder erschüttert, zu welchen Grausamkeiten der Mensch fähig ist. Das wissen wir Deutsche wohl am besten, denn die Verbrechen der Nazis werden uns wohl allzeit unbegreiflich bleiben. Doch das staatlich organisierte Verbrechen ist bis heute nicht von diesem Planeten verschwunden. Zwar wurden seit 1945 nirgendwo erneut Millionen durch einen derart minutiös geplanten und quasi industriell durchrationalisierten Massenmord hinweggerafft, das macht die gegenwärtig praktizierten Verbrechen allerdings nicht weniger verdammenswert.

So ist, wie jetzt bewiesen wurde, die kanadisch-iranische Fotografin Zahra Kazemi im Iran bestialisch gefoltert, vergewaltigt und ermordet worden. "Kazemi, die die kanadische und die iranische Staatsangehörigkeit hatte und in Montreal als Fotografin und Journalistin arbeitete, war am 23. Juni 2003 in Teheran festgenommen worden, als sie vor einem Gefängnis Fotos von Demonstrationen gegen die Regierung machte. Ihr wurde Spionage vorgeworfen. Tagelang wurde sie von der Polizei verhört. Am 26. Juni wurde sie in ein Krankenhaus gebracht und einen Tag später für hirntot erklärt. Sie starb am 10. Juli."

Der behandelnde Arzt im Baghiattulah-Militärkrankenhaus, Sharam Azam, der mittlerweile in Kanada Asyl erhalten hat, berichtete jetzt erstmals Details über den damaligen Zustand Kazemis. "Es sei offensichtlich gewesen, daß die Verletzungen der Frau über mehrere Tage zugefügt worden seien. (...) Er nannte einen Schädelbruch, blaue Flecken von der Stirn bis zum Ohr, gebrochene Finger und gebrochene oder fehlende Fingernägel, ein gebrochenes Nasenbein und schwere Verletzungen im Unterleib. Da er als männlicher Militärarzt die Geschlechtsorgane der Frau nicht habe untersuchen dürfen, habe er eine Krankenschwester hinzugezogen. Diese habe ihm von schweren Verletzungen im ganzen Genitalbereich berichtet, die auf eine 'brutale Vergewaltigung' hinwiesen." [1]

Folter im Iran ist beileibe kein Einzelfall. Daran, daß dort systematisch gefoltert wird, gibt es nicht den geringsten Zweifel. Beklagenswert ist freilich nicht nur die eher im Verborgenen praktizierte Folter. Schon allein die unverhohlen ausgeführten Grausamkeiten reichen aus, um den äußerst fragwürdigen Charakter es iranischen Regimes zu belegen: "Mindestens 108 Hinrichtungen wurden [im Jahr 2003] größtenteils öffentlich ausgeführt. Zu den Opfern gehörten auch politische Gefangene, die sich schon seit längerer Zeit in Haft befunden hatten. Mindestens vier Gefangene wurden zum Tod durch Steinigung verurteilt, mindestens 197 Personen zu Auspeitschungen und elf zur Amputation von Fingern und Gliedmaßen. Die tatsächlichen Zahlen dürften jedoch erheblich höher gewesen sein", konstatiert amnesty international (ai) in seinem Jahresbericht 2004.

Man schreckt dort auch nicht davor zurück, Minderjährige hinzurichten. Am 15.08.2004 wurde die 16-jährige Ateqeh Rajabi in Neka in der nordiranischen Provinz Mazandaran wegen "unkeuschen Verhaltens" gehenkt. Nach Feststellung von ai bekam das Mädchen kein faires Gerichtsverfahren, konnte beispielsweise nie mit einem Anwalt sprechen. Außerdem liegen Hinweise vor, daß die 16-Jährige geistig behindert war. [2] Von daher ist es also durchaus nachvollziehbar, wenn US-Präsident George W. Bush den Iran zur "Achse des Bösen" zählt, wenngleich die USA selbst, was Folter und Todesstrafe angeht, bekanntlich nicht zu den Unschuldslämmern zählen und mit anderen Folterstaaten, beispielsweise Saudi-Arabien, eng befreundet sind. Doch die - im Gegensatz zum Irak - glaubwürdigen Berichte darüber, daß der Iran den Bau von Atombomben anstrebt, sind extrem besorgniserregend. Nukleare Massenvernichtungswaffen in den Händen eines solchen Regimes wären in der Tat absolut inakzeptabel.

Absolut inakzeptabel ist hierzulande allerdings auch die Behandlung von Asylbewerbern aus dem Iran. So sollte zum Beispiel kürzlich die 24-jährige Iranerin Zahra Kameli von Deutschland nach Teheran abgeschoben werden. Sie hat sich hier während ihres inzwischen abgelehnten Asylbegehrens von ihrem Mann getrennt, mit dem sie als 16-Jährige zwangsverheiratet wurde und lebt mittlerweile mit einem anderen Partner zusammen. Wegen Ehebruchs drohte ihr nun im Iran die Steinigung. Außerdem konvertierte sie vom Islam zum Christentum, was nach Ansicht islamischer Fundamentalisten als Apostasie (Abfall vom Glauben) mit dem Tod bestraft wird. Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Verwaltungsgericht in Braunschweig entschieden unverständlicherweise, daß die Frau im Iran nicht gefährdet sei. [3] Solche inhumanen Urteile kann man nur mit Fassungslosigkeit registrieren. Zahra Kameli konnte zum Glück nach heftigen Protesten der Öffentlichkeit und dank der Zivilcourage eines Piloten, der die Beförderung in seinem Flugzeug ablehnte, vor der Abschiebung und damit vor ihrem vermutlich sicheren Tod bewahrt werden.

Leider ist dadurch unser grundsätzliches Problem, die unehrliche Haltung gegenüber Menschenrechtsverletzern, nicht gelöst. Die Haltung des Westens ist in dieser Beziehung häufig fragwürdig. Oft werden nämlich politische oder ökonomische Gründe angeführt, weshalb Proteste gegen barbarische Taten anderer Staaten unterbleiben. Manchmal scheint man menschenverachtende und friedensgefährdende Handlungen sogar noch belohnen zu wollen. Die Volksrepublik China droht zwar Taiwan für den Fall der Unabhängigkeitserklärung mit Krieg, gleichwohl will Bundeskanzler Gerhard Schröder das wegen des Massakers auf dem Tianamen-Platz (04.06.1989) verhängte Waffenembargo gegen China aufheben. Und das sogar gegen den erklärten Willen des Deutschen Bundestages. Selbst aus der Regierungskoalition wird Schröders Verhalten als "politischer Amoklauf" bezeichnet. [4]

Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial hat allein im Jahr 2003 in Tschetschenien 431 Entführungen dokumentiert. "47 Opfer seien später ermordet aufgefunden worden. Im zweiten Tschetschenienkrieg seien mindestens 3000 Menschen ermordet worden, betonte Memorial-Direktor Oleg Orlow. Für diesen 'Terror' seien vor allem russische Einheiten und ihnen unterstellte Truppen des moskautreuen Republikchefs verantwortlich." [5] Nichtsdestotrotz bezeichnet Gerhard Schröder den russischen Präsidenten Wladimir Putin als seinen Freund. Und der italienische Ministerpräsident Berlusconi deklariert die Vorwürfe gegenüber Rußland kurzerhand als "Legenden". Es seien "die internationalen Medien, die immer wieder unterstellen, dass Vorgänge in Russland gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Hören wir doch auf, Legenden zu verbreiten, und schauen wir uns lieber die Fakten an", antwortete Berlusconi auf kritische Fragen von Journalisten. Rußland und die Europäische Union würden die gleichen Werte und die gleiche Auffassung vom Rechtsstaat teilen, behauptete Berlusconi forsch. [6] Sorry, daß wir daran ein bißchen zweifeln.

Es wäre schön, wenn die politische Rücksichtnahme und uneinheitliche Haltung gegenüber despotischen Regierungen endlich ein Ende finden würde. Damit ist die Außenpolitik genauso gemeint wie die Rechtsprechung der Justiz. Es darf nicht sein, daß wir aggressive Staaten auch noch mit Waffen beliefern. Und es darf nicht sein, daß wir Flüchtlinge geradewegs in die Arme der Folterer und Henker zurücktreiben. Wandel durch Handel ist vollkommen legitim. Doch mit Abwiegeln und Stillhalten gegenüber Menschenrechtsverletzungen macht man sich zum Komplizen.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 02.04.2005
[2] ai, Pressemeldung vom 24.08.2004
[3] Frankfurter Rundschau vom 08.02.2005
[4] Frankfurter Rundschau vom 02.04.2005
[5] Frankfurter Rundschau vom 06.12.2003
[6] Frankfurter Rundschau vom 08.11.2003