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14. September 2006, von Michael Schöfer
Das Volk der Dichter und Denker


Island (50 %) und Italien (36,8 %) sind besser, auch Portugal (32,8 %) und Spanien (32,6 %). Selbst Polen (44,8 %) hat uns mittlerweile überrundet. Beim Prozentsatz junger Menschen, die erfolgreich ein Erststudium abgeschlossen haben, liegen wir nach Erhebungen der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) mit 20,6 Prozent ziemlich weit hinten. Dem Volk der Dichter und Denker gehen die Akademiker aus. Für eine Wissensgesellschaft ist das fatal, denn über andere nennenswerte Rohstoffe verfügt Deutschland bekanntlich nicht. Und trotzdem leisten wir uns eine eklatante Bildungsmisere, die die Zukunft des ganzen Landes negativ beeinflussen wird. Über die Ursachen ist man sich, wie schon anläßlich der Pisa-Studie, völlig uneins. Ob irgendwann auch etwas geschieht? Das ist fraglich - zumindest für Veränderungen im positiven Sinne. In etlichen Bundesländern werden demnächst happige Studiengebühren fällig, die den Pool an intellektuellen Begabungen, aus dem man schöpfen kann, vermutlich kräftig stutzen. Die, die Geld haben, können studieren. Unabhängig von ihren Fähigkeiten. Die, die kein Geld haben, müssen prüfen, ob sie sich überhaupt ein Studium leisten können. Viele werden gezwungenermaßen darauf verzichten. Ob man in anderen Staaten ebenso ideologisch überfrachtet über Bildung streitet? Wie auch immer, jedenfalls geht eher ein Kamel durchs Nadelöhr, als daß eine CDU-Landesregierung auf das dreigliedrige Schulsystem, bei dem die Kinder extrem früh ausgesiebt werden, verzichtet. Das Bildungskonzept der Union entwickelt sich ja schon seit langem in Richtung Elite. Ob eine notwendigerweise relativ kleine Elite die Verluste, die dadurch an anderer Stelle entstehen, kompensieren kann, darf bezweifelt werden. Die Politik ist unfähig, über ihren Schatten zu springen. Doch je länger man wartet respektive kontraproduktiv handelt, desto wahrscheinlicher landet man am Ende im Abgrund. Die Produkte der Dichter und Denker kann man schließlich leicht importieren oder bei Amazon kaufen. Vielleicht, sofern wir dann noch über ausreichende Mittel verfügen. Möglicherweise geben wir uns dereinst einfach mit dem Niveau von BILD und RTL zufrieden. Dafür reicht's nämlich immer - auch ohne Hochschulabschluß.