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23. Oktober 2006, von Michael Schöfer
Dolchstoßlegende


Uns allen ist wohl noch der bizarre Auftritt Gerhard Schröders am Abend der letzten Bundestagswahl in Erinnerung. Ob er nun in der "Berliner Runde", in der er Angela Merkel hochnäsig abkanzelte, von Alkohol benebelt oder einfach nur realitätsblind war, darüber streiten die Götter bis heute. Zur Erinnerung (O-Ton Schröder am 18.09.2005): "Die Wähler haben uns ein Ergebnis beschert, dass niemand außer mir in der Lage ist, eine stabile Regierung zu bilden." (...) "Sie [Merkel] wird keine Koalition unter ihrer Führung mit meiner sozialdemokratischen Partei hinkriegen. Das ist eindeutig." (...) "Wollen Sie [zu Merkel] uns jetzt allen erzählen, dass Sie gewonnen haben?" (...) "Die Deutschen haben doch in der Kandidatenfrage eindeutig votiert. Das kann man doch nicht ernsthaft bestreiten." (...) "Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel in dieser Sachlage eingeht, in dem sie sagt, sie möchte Kanzlerin werden?" (...) "Wir werden reden, aber Sie werden nicht Kanzlerin, nicht mit den Stimmen der SPD." [1]

Jetzt hat der Gerd seine Memoiren vorgelegt. Und zum ersten Mal, das Buch will schließlich promotet werden, äußert er sich öffentlich über den Rücktritt und die Politik seiner Nachfolgerin. Einflußreiche Funktionäre hätten aus Protest gegen seinen Reformkurs "systematisch" seinen Sturz betrieben, behauptet er unverfroren. Sollte das wirklich stimmen, so ist zumindest das gelungen. Aber der Alt-Kanzler bastelt wohl eher an seiner ganz persönlichen Dolchstoßlegende. Nicht die unsoziale Politik sei schuld, mit der er die SPD von Wahlniederlage zu Wahlniederlage führte, sondern natürlich die "lieben" Genossinnen und Genossen des linken Flügels, die sich ihm widersetzten. Man darf mit Fug und Recht behaupten, Schröder ist immer noch nicht in der Realität angekommen. Gerade debattiert die Republik über die grassierende Armut in Deutschland, doch der frühere Regierungschef ist offenbar nach wie vor der Meinung, segensreich für Deutschland gewirkt zu haben. Ob nun tatsächlich von "einflußreichen Funktionären systematisch betrieben" oder nicht, sein Sturz war absolut notwendig. Schröders Uneinsichtigkeit ist hierfür Beweis genug.

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[1] Der Tagesspiegel vom 20.09.2005