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08. Februar 2009, von Michael Schöfer
Hurra, wir kapitulieren

(eine Rezension)

Wer in Henryk M. Broder jemanden sieht, der Worte mit der Eleganz eines Degenfechters einzusetzen weiß, hat ihn total verkannt. Jedenfalls wendet er diese Gabe, sofern er sie besitzt, selten an. Nein, Broder polemisiert, und das mit der Eleganz einer Streitaxt. Dabei schlägt er, wie beim Gebrauch von Streitäxten gemeinhin üblich, alles kurz und klein, was sich ihm in den Weg stellt. Seine Polemik als blindwütig zu bezeichnen, wäre verfehlt, immerhin trifft er zuweilen den Kern der Sache, nichtsdestotrotz mangelt es seinen Beiträgen an Differenzierungsvermögen. Anders ausgedrückt: Wenn Broder schreibt, fallen Späne, doch darauf scheint er keine Rücksicht nehmen zu wollen.

"Hurra, wir kapitulieren", heißt eines seiner jüngsten Werke. Untertitel: "Von der Lust am Einknicken." Es geht darin um unseren Umgang mit der gewalttätigen Seite des Islam. Henryk M. Broder hat nicht einmal unrecht, wenn er manche Reaktionen auf den islamistischen Terror geringschätzig als Appeasement (Beschwichtigungspolitik) bezeichnet. Gerade in Bezug auf die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" hätte man in der Tat erwarten können, dass sich der Westen klipp und klar zum Prinzip der Meinungs- und Pressefreiheit bekennt anstatt den hilflosen Versuch zu unternehmen, die gewalttätigen Reaktionen in der islamischen Welt durch partielles Nachgeben zu beschwichtigen.

"Es ist nicht der Respekt vor anderen Kulturen, der das Verhalten der Menschen [im Westen, Anm. d. Verf.] bestimmt, sondern das Wissen um die Rücksichtslosigkeit der Fanatiker, mit denen man es zu tun hat." (Seite 30) Man geht dem Ärger aus Angst lieber aus dem Weg, beklagt Broder. Er hält das für gefährlich. Die Wertegemeinschaft bekommt bei Konflikten Angst vor der Befolgung ihrer Werte. Dass das die Fanatiker bloß ermutigt, liegt auf der Hand. Fürwahr, viele Muslime sind extrem schnell beleidigt und reagieren dann alles andere als zivilisiert. Wer sie beispielsweise als gewalttätig bezeichnet, geht - als ob es dieser Bestätigung noch bedurft hätte - tatsächlich das Risiko ein, eins auf die Rübe zu bekommen. Die Morddrohungen, unter denen die Karikaturisten zu leiden haben, sprechen für sich. Nachgiebigkeit, die Aufgabe der eigenen Prinzipien, ist daher kein angemessenes Rezept im Umgang mit dem Islam.

So weit, so gut. In Bezug auf die Atompolitik des Iran sieht Broder ebenfalls Appeasement-Politik am Werk. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad mache sich insgeheim über den Westen lustig, unterstellt Broder, denn unsere Politiker würden das kleinste Anzeichen, das für die Verhandlungsbereitschaft Teherans spreche, überschwänglich begrüßen, während der Gottesstaat in Wahrheit nur seinen gefährlichen Atomkurs kompromisslos weiterverfolge. Broder nennt das ein "Katz- und Maus-Spiel", bei dem die Maus (Iran) mit den Zähnen fletscht und die Katze (der Westen) ständig die Krallen einzieht. (Seite 89) Hitler, das schwingt bei Broder unausgesprochen mit, hat vor 1939 ähnlich gehandelt. Und wir wissen schließlich, wohin das am Ende geführt hat. Appeasement-Politik ist ein Fehler, resümiert Broder.

Im Anprangern ist er groß, doch was konkrete Lösungen angeht, kneift er. Letztlich geht es doch in Bezug auf den Iran um die schwerwiegende Frage nach Krieg und Frieden. Wollen wir die vermutete iranische atomare Aufrüstung notfalls mit Krieg unterbinden oder nicht? Henryk M. Broder drückt sich um eine klare Antwort. Wer weiß, wie viele Opfer ein derartiger kriegerischer Akt kosten könnte, wird die Politiker des Westens gewiss besser verstehen. Es ist eben nicht leicht, unter Umständen für Millionen von Toten Verantwortung tragen zu müssen. Und wenn man alles tut, um diese Opfer irgendwie zu vermeiden, sollte man das nicht als Appeasement-Politik diffamieren. Georg W. Bushs Kriegspolitik hat ja gezeigt, wohin derlei Unbedachtsamkeit führt.

Umso befremdlicher ist, dass Broder die möglichen Auswirkungen kennt. Auf Seite 158 zitiert er ein Papier der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, "in dem die Folgen eines amerikanischen Atomschlags gegen den Iran beschrieben werden: Mehr als zwei Millionen Menschen würden in den ersten 48 Stunden sterben, eine Million würde schwere Verletzungen erleiden. Zehn Millionen würden verstrahlt." Broder hält dem entgegen: "Nur eine Frage wurde in dem Papier weder gestellt noch beantwortet: Was wären die Folgeschäden eines iranischen Atomschlags?" Ist das - trotz der voraussichtlich extrem hohen Zahl der Opfer - ein Plädoyer für den Präventivschlag gegen den Iran? Das kann der Leser nur zwischen den Zeilen herauslesen. Mit anderen Worten: Henryk M. Broder ist genauso ratlos wie diejenigen, denen er Appeasement unterstellt. Falls nicht, falls er wirklich bereit ist, Millionen Tote in Kauf zu nehmen, möge er mich korrigieren.

Absolut unverständlich wird Broders Haltung ausgerechnet dann, wenn es um die westlichen Werte geht, die er scheinbar vehement verteidigt. "Die Vorstellung, ein Unschuldiger könnte jahrelang [in Guantanamo, Anm. d. Verf.] festgehalten werden, ist ein Albtraum. Andererseits übersteigt die Idee, man könnte dem Terror nur mit rechtsstaatlichen Mitteln beikommen, die Grenze zum Irrealen. Es ist, als ob man die Feuerwehr auffordern würde, sich bei ihren Einsätzen an die Straßenverkehrsordnung zu halten und auf keinen Fall eine rote Ampel zu überfahren. Schon in Fällen wie dem von O. J. Simpson, der freigesprochen wurde, obwohl niemand daran zweifelte, dass er buchstäblich Blut an den Händen hatte, werden die Grenzen eines fairen Verfahrens klar." (Seite 124)

Ungeheuerlich! Damit kann man, analog zu George W. Bush und Donald Rumsfeld, alles legitimieren: Inhaftierung ohne Anklage, Verurteilung ohne Beweise und sogar illegale Vernehmungsmethoden (Folter). Wie sonst, wenn nicht durch die strikte Befolgung unserer eigenen Prinzipien, wollen wir die westlichen Werte verteidigen? Sie werden vielmehr durch Nichtbefolgung unweigerlich zerstört. Solange es um die Meinungs- und Pressefreiheit geht, plädiert Broder kompromisslos für die Einhaltung unserer Prinzipien. Wenn es andererseits um die Behandlung von mutmaßlichen Terroristen geht, drückt er bereitwillig beide Augen zu. Widersprüchlicher kann man nicht argumentieren. Broder plädiert stattdessen für das Prinzip "Im Zweifel gegen den Angeklagten." Hierbei kommt er der Ansicht der Islamisten ziemlich nahe. Richtig durchdacht hat er seine Argumentation offenbar nicht. Guantanamo mit einem Brand und die Folterer mit der Feuerwehr zu vergleichen, ist vollkommen abwegig. Außerdem: Im Einsatz hat sich die Feuerwehr sehr wohl an gewisse Regeln zu halten. [1] Wie gesagt, Broders Beiträgen mangelt es an Differenzierungsvermögen, sein Metier ist die Schwarz-Weiß-Malerei.

Die Grenzen eines fairen Verfahren dürfen keinesfalls überschritten werden, denn gerade die unbedingte Einhaltung der Grenzen eines fairen Verfahrens macht unsere Stärke aus und unterscheidet uns von anderen. Wenigstens in der Theorie (die Praxis sieht leider allzu oft anders aus). Übrigens: O. J. Simpson wurde immerhin im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens von einer Jury freigesprochen, zumindest das Geschworenengericht hatte also berechtigte Zweifel an seiner Schuld. Ob einem das gefällt oder nicht, ob man das für plausibel hält oder nicht. In einem Rechtsstaat entscheiden nun mal die dafür zuständigen Gerichte. Punkt. Was wäre dazu die Alternative? Hätte man Simpson in einem unfairen Verfahren aburteilen sollen, in dem die - woher auch immer gewonnene - Überzeugung Broders ausschlaggebend gewesen wäre? Nimmt man Broders Einwand ernst, hätte es genau so kommen müssen. Aber dann würde bei uns Willkür herrschen, nicht mehr die "rule of law" - mithin genau das, was er angeblich vermeiden möchte. Kurzum, Broder schießt mit den in seinem Buch vertretenen Ansichten weit übers Ziel hinaus.

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[1] vgl. Sonderrechte gemäß § 35 StVO