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09. März 2009, von Michael Schöfer
Die Auswahl ist bescheiden


Das Jahr 2009 ist mit der Europawahl, fünf Landtagswahlen (Hessen, Saarland, Sachsen, Thüringen, Brandenburg), etlichen Kommunalwahlen und natürlich der Bundestagswahl unbestritten ein "Superwahljahr". Nicht zuletzt wegen der Wirtschaftskrise müsste uns ein heftiger Wahlkampf bevorstehen, in dem die gegensätzlichen Konzepte hart aufeinanderprallen. Doch irgendwie ist alles ziemlich schwammig und das Personalangebot der Parteien alles andere als "super".

"Wir führen die Gängelung der wirtschaftlichen Betätigung durch Rechtsvorgaben des Bundes zurück und entlasten unsere Wirtschaft von Bürokratiekosten. (...) Wir bauen überzogene bundesrechtliche Standards ab. (...) Wir bauen staatliche Aufgaben ab und stärken Eigenverantwortung statt Staatsgläubigkeit. (...) Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben beschränken. (...) Ein Dickicht von Vorschriften und Regelwerken ist in Deutschland zur Bremse für Wachstum und Beschäftigung geworden. (...) Deregulierung, Aufgabenabbau und die Entlastung der Wirtschaft von Bürokratiekosten sind unverzichtbare Bausteine, damit sich unternehmerisches Handeln entfalten kann, Arbeitsplätze neu entstehen und Deutschland als Wirtschaftsstandort im internationalen Wettbewerb attraktiver wird." Das sind Stichpunkte aus dem CDU/CSU-Wahlprogramm 2005. [1]

Und noch vor zwei Jahren schrieb die Kanzlerpartei in ihrem Grundsatzprogramm: "Der globale Finanzmarkt trägt zur Erhöhung des Wohlstands in der Welt bei und ermöglicht in Form von Investitionen den wirtschaftlichen Aufstieg vieler Schwellenländer. Offene Märkte und freie Wettbewerber sichern Attraktivität und Liquidität des deutschen Kapitalmarktes. Fonds auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten, wie die Private-Equity-Fonds, können auch in Deutschland dazu beitragen, Unternehmen wettbewerbs- und innovationsfähiger zu machen." [2] Sätze wie aus einer anderen Welt, inhaltlich alles durch die Realität widerlegt.

Dass sich die Bundeskanzlerin heute zähneknirschend mit der Verstaatlichung von Banken beschäftigten muss, gefällt der nach wie vor neoliberal ausgerichteten Partei ganz und gar nicht. In der Union rumort es hörbar, viele vermissen die "klare Kante" und damit insbesondere die Abgrenzung zur SPD. Weil außerdem die Umfrageergebnisse zurückgehen, wird man langsam nervös. Die Kanzlerin führe nicht, heißt es unverblümt. Hohe Union-Politiker fordern offen einen Kurswechsel. Doch Angela Merkel weiß, dass die Union mit einer neoliberal ausgerichteten Politik gegenwärtig noch viel weniger punkten kann als 2005. Damals verhagelte ihr u.a. der "Professor aus Heidelberg" (Paul Kirchhof) das Wahlergebnis. Forcierte Deregulierung, naive Marktgläubigkeit und Zurückhaltung bei der Rettung von Banken mag die Parteiseele befriedigen, ob der um seinen Arbeitsplatz bangende Wähler zustimmt, steht auf einem anderen Blatt. Wir erleben demzufolge eine Union, die mit sich selbst im Unreinen ist, die zwischen den Anforderungen der Tagespolitik und konservativen Grundsätzen allmählich zerrieben wird.

Über die SPD muss man gar nicht viel schreiben, die frühere Arbeiterpartei besteht neben ein paar handzahmen Vorzeige-Linken nach wie vor aus einem festen Kern von Agenda-Politikern. Letztere bestimmen die Richtlinien der Parteipolitik. Folge: Die Glaubwürdigkeit der SPD ist nachhaltig zerstört.

Die Position der Grünen ist nebulös. Halten wir fest: Rot-Grün wäre ihnen sicherlich am liebsten, aber dafür wird es wohl kaum reichen. Weil die Wunschkoalition offenkundig wenig realistisch ist, favorisieren sie eben Rot-Gelb-Grün. Wie man das mit Guido Westerwelle hinbekommt, steht allerdings in den Sternen. Sollte das also gleichfalls scheitern, liebäugeln sie mit Schwarz-Grün. Hamburg lässt grüßen. Selbst Rot-Rot-Grün ginge mit der Ökopartei, aber hier verweigern sich die Sozialdemokraten. Was soll man mit einer Partei anfangen, die alle denkbaren Koalitionen ernsthaft in Erwägung zieht (selbstverständlich nur "notgedrungen")? Den Blankoscheck auch noch wählen? Übrigens, was grüne Grundsätze wert sind, haben wir zwischen 1998 und 2005 zur Genüge miterlebt.

Wer wissen will, was unter einer Bundesregierung mit Beteiligung der Liberalen auf uns zukommt, braucht bloß nachzulesen was Hermann Otto Solms vor kurzem mit Blick auf die verzweifelten Versuche, unser Finanzsystem zu retten, bemerkte: "FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms verglich Steinbrücks Kurs mit dem des linkspopulistischen Staatschefs von Venezuela, Hugo Chávez: 'Enteignung ist ein Instrument der sozialistischen Planwirtschaft und nicht der sozialen Marktwirtschaft.' Die Koalition nehme es 'mit den Grundprinzipien der Verfassung nicht so ernst', sagte Solms." [3]

Oje, damit hat sich der "Finanzexperte" selbst gleich mehrfach Ahnungslosigkeit und ideologische Verblendung attestiert. Erstens wäre die Alternative zur Verstaatlichung der Hypo Real Estate die Insolvenz. Davon hätten die Aktionäre, um deren Wohl sich Solms sorgt, am allerwenigsten, nämlich gar nichts. Zweitens werden augenblicklich de facto die Steuerzahler enteignet, die für die verzockten Milliarden der Banken geradestehen müssen. Normalerweise enteignet man Werte, keine Spielschulden. Drittens: Nimmt man Solms beim Wort, sollten wir aus ideologischen Gründen den Zusammenbruch des Finanzsektors riskieren, weil die Liberalen nicht einen Millimeter von der reinen Lehre abzuweichen bereit sind. Das wäre freilich ein Experiment mit unkalkulierbarem Ausgang (Zocken steckt den Neoliberalen offenbar im Blut). Mit dem Beckenbauer-Prinzip ("schau'n mer mal") rettet man keine Volkswirtschaft. Viertens hätte ein kurzer Blick ins Grundgesetz vollauf genügt, um dort den Terminus "Enteignung" zu finden [4]. Aber derartige Detailkenntnisse darf man von einem Vizepräsident des Deutschen Bundestages natürlich nicht erwarten. Schließlich, fünftens, bieten die Liberalen außer ihrem sturen Festhalten an längst gescheiterten Rezepten keinerlei praktikable Alternativen an. Dass die FDP aus heutiger Sicht dennoch bald mitregieren wird, ist angesichts dessen unfassbar.

Bleibt noch die Linke. Wirtschaftspolitisch sagt und fordert sie meines Erachtens oft das Richtige, gleichwohl kann ich mein Misstrauen gegenüber dem Gros der Parteimitglieder nicht verleugnen. Ob die Mehrheit der Linken stets der Freiheit den Vorzug gibt, wage ich zu bezweifeln.

Nein, die Auswahl an Parteien und des dahinter stehenden Personals ist wahrlich nicht gerade berauschend. Wählen fällt diesmal ganz besonders schwer.

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[1] CDU, Regierungsprogramm 2005-2009 vom 11.07.2005, Seite 10f, PDF-Datei mit 562 kb
[2] CDU, Grundsatzprogramm vom 03.12.2007, Seite 53, PDF-Datei mit 887 kb
[3] Financial Times Deutschland vom 06.03.2009
[4] vgl. Artikel 14 und Artikel 15