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17. September 2009, von Michael Schöfer
Tiger sind Vegetarier


Das glauben Sie wohl nicht. Noch besser: Banker sind grundsolide Charaktere, die unser höchstes Vertrauen genießen. Diesen Satz hätten zwar noch vor drei oder vier Jahren fast alle unterschrieben, doch mittlerweile hat die Finanzkrise die meisten eines Besseren belehrt. Bittere Erkenntnis: Tiger sind genauso wenig Vegetarier wie Banker grundsolide. Banker sind vielmehr gefährliche Hasardeure. Doch soll man ihnen das vorwerfen? Kann man einem Tiger den Genuss von Frischfleisch verübeln? Kaum, denn das gehört bekanntlich zu seiner Natur. Im Zoo sperrt man ihn deshalb kurzerhand hinter Gitter. Banker, die für die Allgemeinheit nicht weniger bedrohlich sind, eben bloß auf eine andere Weise, laufen hingegen frei herum und dürfen wie gehabt hohe Risiken eingehen. Zwar versprach die Politik lautstark, die Finanzkrise könne sich nie wiederholen, weil man die Hasardeure jetzt endlich an die Leine legen werde, passiert ist allerdings so gut wie nichts. Zumindest bis jetzt.

Die Lobbyisten haben gute Arbeit geleistet. Kein Wunder, hängen doch vom finanziellen Vabanquespiel erstaunlich viele Arbeitsplätze ab. Nicht indirekt, sondern buchstäblich: "Gerd Billen, Vorsitzender des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, spricht von 'Überkapazitäten', die es nicht nur in der Automobilindustrie, sondern auch in der Finanzbranche gebe. 'In Deutschland verkaufen mehr als 600.000 Leute Finanzprodukte. Da kommt ein wahnsinniger Druck zusammen, Produkte zu verkaufen, die keiner braucht', sagt Billen." [1] Hinzu kommt die Komplexität des Angebots: Die Direktbank ING-Diba bietet ihren Kunden rund 5.000 Anlagemöglichkeiten. [2] Andere Banken werden eine ähnlich breite Palette offerieren. Ob da alle Verkäufer über den notwendigen Durchblick verfügen, was sie den wahrscheinlich überwiegend ahnungslosen Kunden ins Portfolio legen? Das ist zu bezweifeln.

Momentan scheint die Bankenbranche lediglich die Verpackung ihrer Produkte zu ändern, der "Finanzmüll" wird kosmetisch aufbereitet und dann erneut auf dem Markt geworfen. Ein Beispiel: "Vor einigen Wochen erst warnten die britische Finanzaufsicht FSA und ihr amerikanisches Pendant SEC vor bestimmten Indexfondsprodukten. Indexfonds, auch Exchange Traded Funds (ETF) genannt, sind eigentlich eine sichere Sache, zumindest im Hinblick auf die zu erwartenden Gewinne oder Verluste. Steigt der Leitindex Dax um zehn Prozent, so steigt abzüglich der Verwaltungskosten auch der Wert des Dax-ETF um zehn Prozent. Dieses Prinzip hatte Gültigkeit, bis sich in diesem Jahr Finanzingenieure daran machten, die Papiere aufzupeppen. Sie wurden beispielsweise mit einem doppelten Hebel ausgestattet. Das bedeutet: Investoren konnten bei einem zehnprozentigen Anstieg des amerikanischen Aktienindex S&P das Doppelte, nämlich 20 Prozent verdienen - so dachten sie zumindest. Weil die Konstruktion komplizierter war als gedacht, fielen Anleger allerdings aus allen Wolken, als sie plötzlich über Wochen Verluste machten, obwohl der Aktienindex S&P gestiegen war." [3]

Kein Zoodirektor ließe einen Tiger frei herumlaufen, insbesondere wenn bereits Menschenleben zu beklagen sind. Die Raubkatze könnte froh sein, ihren Ausflug aus dem Gehege zu überleben. Die Banken allerdings dürfen uns weiterhin mit ihren toxischen Wertpapieren und kreativen Finanzkonstruktionen beglücken. Zoodirektorin Angela Merkel und Tierpfleger Peer Steinbrück reden doch bloß übers Einsperren der Raubkatze, was sie bislang getan haben, ist hingegen äußerst dürftig. Gleichwohl bitten sie am 27. September um unser Vertrauen. Ich will Ihnen etwas verraten: Lieber glaube ich, dass Tiger tatsächlich Vegetarier sind.

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[1] Süddeutsche / jetzt.de vom 15.09.2009
[2] boerse.ARD vom 15.09.2009
[3] Süddeutsche vom 17.09.2009