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16. April 2010, von Michael Schöfer
Immer, wie man es gerade braucht


Politiker lieben, insbesondere vor Wahlen, hochtrabende Worte. So hat etwa die SPD vor der letzten Europawahl (07.06.2009) in ihrem pathetisch "Europamanifest" genannten Wahlprogramm Folgendes geschrieben: "Das Europäische Parlament wächst in die Rolle eines echten, mit dem Ministerrat gleichberechtigten europäischen Gesetzgebers hinein (…)." [1] Überhaupt hat man uns den Vertrag von Lissabon vor allem mit der vermeintlichen Stärkung der EU-Parlamentarier schmackhaft machen wollen. Landauf, landab warb man unter dem Motto "Mehr Rechte für das Europaparlament" für den neuen EU-Grundlagenvertrag.

Nun hat EU-Kommissar Olli Rehn angesichts der griechischen Finanzmisere eine stärkere Überwachung der nationalen Haushalte gefordert. "Rehn will, dass die EU-Kommission schon früher als bisher in die nationale Haushaltsplanung eingebunden wird, um notfalls Korrekturen zu erzwingen." [2] Das klingt ein bisschen nach einheitlicher EU-Wirtschaftspolitik, die von weitsichtigen Kritikern bereits bei der Einführung des Euro gefordert wurde. Dennoch wehrt man sich in den Mitgliedstaaten nach wie vor hartnäckig gegen einen stärkeren Einfluss der EU auf die nationalen Haushalte. Und das mit seltsamen Argumenten.

Carsten Schneider sieht mit der Realisierung von Rehns Vorschlag sogar das Ende der Demokratie voraus: "Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, sagte (...), wenn der Bundestag seine Haushaltsautonomie aufgäbe, 'wäre das das Ende der parlamentarischen Demokratie, wie wir sie bisher kennen'. Das gelte um so mehr, als auf europäischer Ebene die Verwaltung viel und das Parlament fast gar nichts zu sagen habe. 'Nie und nimmer werde ich das mittragen', versicherte Schneider." [3]

Merken Sie was? Vor einem Jahr, als uns die SPD anlässlich der Europawahl an die Wahlurnen locken wollte, erzählte sie uns das Märchen von der Stärkung des Europarlaments ("mit dem Ministerrat gleichberechtigter europäischer Gesetzgeber"). Jetzt heißt es plötzlich, das EU-Parlament habe fast gar nichts zu sagen. Abermals ein Beispiel dafür, dass Politiker immer nur das verkünden, was sie in der jeweiligen Situation gerade brauchen. Vertrauen in die politischen Institutionen schafft man hierdurch nicht. Kein Wunder, wenn sich das Ansehen der Politiker mittlerweile auf einem absoluten Tiefpunkt befindet.

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[1] SPD, PDF-Datei mit 289 kb, Seite 11
[2] tagesschau.de vom 16.04.2010
[3] Mitteldeutsche Zeitung vom 16.04.2010