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23. Februar 2012, von Michael Schöfer
Ich könnte auf den Politischen Aschermittwoch verzichten


Der "Politische Aschermittwoch" geht mir furchtbar auf den Keks. Vielleicht deshalb, weil ich kein Bayer bin. Manche Traditionen sind offenbar nur zu verstehen, wenn man sie gewissermaßen mit der Muttermilch aufgesogen hat. Doch entspricht der heute praktizierte Politische Aschermittwoch überhaupt noch der Tradition? Wenn ich mir als Nicht-Bayer die Bemerkung erlauben darf: Die Zweifel daran sind nicht unberechtigt.

Laut Wikipedia liegen die Wurzeln des Politischen Aschermittwoch im 16. Jahrhundert: "1580 trafen sich bayrische Bauern erstmals in Vilshofen an der Donau zum Vieh- und Rossmarkt und feilschten dabei nicht nur über die Preise, sondern diskutierten auch heftig die Themen des Tages, darunter seit dem 19. Jahrhundert auch die königlich-bayerische Politik." [1] Ursprünglich muss er demzufolge eine Veranstaltung der Untertanen gewesen sein, die bei dieser Gelegenheit kräftig über ihre Obrigkeit herzogen.

Im Laufe der Zeit wurde daraus allerdings eine Veranstaltung der Obrigkeit selbst, das Volk ist nämlich mittlerweile auf die Rolle des schenkelklopfenden Zuschauers beschränkt. Die Regierenden lästern, die Regierten dürfen allenfalls Beifall klatschen. Letztlich sind die Bürger bloß noch Staffage, denn reden dürfen hauptsächlich Abgeordnete, Minister und Regierungschefs. Dass auch die Opposition ihren Politischen Aschermittwoch feiert, ändert daran kaum etwas.

Zur Legende wurden die Auftritte von Franz Josef Strauß, der mit seinen Aschermittwochsreden Freund und Feind das Fürchten lehrte. Spätestens damals mutierte der Politische Aschermittwoch zu reinen Schauveranstaltungen der Parteien - umnebelt vom Alkohol und auf intellektuell recht dürftigem Niveau lässt sich das Establishment bejubeln. Die Bierzeltatmosphäre feiert Triumphe, es ist keine Zeit der feinsinnigen Ironie, eher eine der Haudrauf-Rhetorik. Und inzwischen machen alle mit, neuerdings sogar die Piratenpartei. Am schlimmsten sind wohl die Redenschreiber dran, die sich möglichst kernige Sprüche einfallen lassen müssen. Jeder Spitzenpolitiker bekommt dann mit einem mehr oder minder sinnigen Spruch seinen Kurzauftritt in der Tagesschau.

Mit anderen Worten: Zumindest ich könnte auf den Politischen Aschermittwoch verzichten. Er ist reiner Klamauk, polarisiert und trägt nichts zur Lösung der Probleme bei. Zugegeben: Politikerreden tragen selten etwas zur Lösung von Problemen bei. Insofern ist der Politische Aschermittwoch lediglich eine Zuspitzung, nichts grundsätzlich anderes als sonst. Wenn Sie jetzt daraus ableiten, Politikerreden wären generell überflüssig... Nun ja... Ihre Sache.

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[1] Wikipedia, Politischer Aschermittwoch, Ursprünge