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08. April 2013, von Michael Schöfer
Prinzessin auf der Erbse


Wir kennen ja alle Hans Christian Andersens Märchen "Die Prinzessin auf der Erbse", das Synonym für Überempfindlichkeit. Nun haben wir hierzulande Prinzessinnen mitsamt der Monarchie 1918 aus gutem Grund abgeschafft, überempfindliche Zeitgenossen sind uns freilich erhalten geblieben. Leider.

Durch ein Datenleck wurde dem Internationalen Konsortium für investigative Journalisten eine Festplatte mit 260 GB hochbrisanten Daten zugespielt. Auf ihr befinden sich Informationen über Personen, die in sogenannten "Steueroasen" Geld angelegt und Briefkastenfirmen gegründet haben. Seit kurzem dürfen wir uns täglich über entsprechende Veröffentlichungen freuen. Es muss sich noch erweisen, ob dem bloß legale Steuervermeidung oder illegale Steuerhinterziehung zugrunde liegt - vieles spricht aber bislang für Letzteres.

Nun sollte man annehmen, dass, abgesehen von den Steuervermeidern bzw. Steuerflüchtlingen, alle anderen dafür sind, die Steueroasen allmählich auszutrocknen. Immerhin müssen wir uns derzeit wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise gehörig einschränken. Doch falsch gedacht, zumindest das Flaggschiff des Konservatismus sieht vielmehr Jakobiner am Werk.

"Der Aufschrei der Empörten, der jetzt durchs Land hallt", habe "jegliches Maß verloren" und nähre "den Verdacht, dass das Leck im vertraulichen Datenpool (...) noch anderen Zwecken dienen soll. Zum Beispiel der Hatz auf die Reichen insgesamt", schreibt die FAZ. [1] Keiner sei darüber Rechenschaft schuldig, was er mit seinem Geld mache. Und es kommt noch besser: "Völlig abwegig ist das Argument, weil jeder Hartz-IV-Empfänger gegenüber dem Staat die Hosen runterlassen müsse und seine persönlichen Verhältnisse transparent zu machen gezwungen sei, sollten jetzt auch die Daten der Reichen öffentlich zugänglich werden. Der feine Unterschied ist: Sozialhilfeempfänger wollen Staatsgeld, das vorher den Reichen abgeknöpft wurde." Die Steueroasen seien wegen dem Steuerwettbewerb sogar notwendig.

Der FAZ gebührt wahrlich der "Prinzessin auf der Erbse"-Preis. Es ist äußerst peinlich, wie überempfindlich das Blatt die Interessen der oberen Zehntausend verteidigt, bloß weil es denen jetzt - wohlgemerkt, lediglich auf der Grundlage der bestehenden Gesetze - an den Kragen geht. Sozialhilfeempfänger wollen Staatsgeld, deshalb sei es ganz in Ordnung, dass bei ihnen die Daumenschrauben angezogen werden, etwa durch demütigende Kontrollen zu Hause, ob sie nicht eine Zahnbürste zu viel im Badezimmer haben (Achtung: verschleierte Bedarfsgemeinschaft!). Offenbar rechtfertigt Bedürftigkeit alles, selbst Verstöße gegen die grundgesetzlich garantierte Würde des Menschen.

Allerdings sollte man die FAZ beiläufig daran erinnern, dass wir Steuerzahler den Reichen in der aktuellen Krise bereits mehrfach, Verzeihung, den Arsch gerettet haben. Ohne unser Geld wäre nämlich längst deren ausgeklügeltes Finanzsystem kollabiert. Wo ist da, bitteschön, der "feine Unterschied" zum Hartz IV-Empfänger? Zum Dank drehen sie uns obendrein eine Nase und flüchten in die Steuerparadiese. So ein Verhalten ist schäbig. Da ist Transparenz das Mindeste, was wir verlangen können - und bei Steuerhinterziehung selbstverständlich die Nachzahlung der Steuerschuld sowie eine angemessene Strafe.

Natürlich ist niemand darüber Rechenschaft schuldig, was er mit seinem Geld anfängt. Vielleicht mit dem kleinen, aber im vorliegenden Zusammenhang nicht unbedeutenden Vorbehalt, dass es ordentlich versteuert werden sollte. Es geht folglich nicht um Neid, sondern um die Gleichheit vor dem Gesetz. Etwas, ohne das eine Demokratie schlechterdings nicht vorstellbar ist. Wer dagegen polemisiert, muss sich Fragen über sein Demokratieverständnis gefallen lassen.

Eine letzte Bemerkung zum Schluss: Bekanntlich hat die FAZ die bedauerlicherweise insolvente Frankfurter Rundschau gekauft. Angeblich soll die FR trotzdem ihr linksliberales Profil behalten. Auf dieses Experiment darf man angesichts der Ausrichtung der FAZ wirklich gespannt sein.

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[1] FAZ.Net vom 06.04.2013