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24. September 2013, von Michael Schöfer
Augen zu und durch oder Kurswechsel?


Die Bundestagswahl ist vorbei und hat, im Guten wie im Bösen, tiefe Spuren in der politischen Landschaft der Republik hinterlassen. Den Ausgang historisch zu nennen ist keineswegs übertrieben, schließlich scheiterte die viel geschmähte "Funktionspartei" FDP bundesweit erstmals an der 5-Prozent-Hürde. Und mit 41,5 Prozent ist Angela Merkel nur knapp an der absoluten Mehrheit der Mandate vorbeigeschrammt. Chapeau, das beste Wahlergebnis der Union seit 1990. Natürlich wollen davon auch die CDU-Landesfürsten profitieren. Motto: "Angie, dein Licht falle auf mein Haupt."

Peter Hauk, der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, jubelt und interpretiert das Bundestagswahlergebnis flugs in ein Landtagswahlergebnis um: "Die CDU ist wieder da - mit uns ist zu rechnen! Grün-Rot muss sich warm anziehen! Die grün-rote Politik, die die Landesregierung im Land praktiziert, hat die Menschen nicht so begeistert, dass sie sich eine solche Lösung auch im Bund vorstellen wollen." [1]

Nun sind Bundestagswahlen bloß Bundestagswahlen. Den Absturz von Stefan Mappus bei der letzten Landtagswahl hat die Landes-CDU ja auch nicht als Misstrauensvotum für Angela Merkel gedeutet. Und mit Verlaub: Weder Peter Hauk noch CDU-Landeschef Thomas Strobl sind von der Statur her mit der Bundeskanzlerin vergleichbar. Es ist wie beim Fußball: Bundesliga ist eben Bundesliga, und Landesliga ist halt Landesliga. Der 22. September 2013 ist daher nicht 1:1 auf die nächste Landtagswahl im Jahr 2016 übertragbar. Bei durch die Parteibrille gefärbten Analysen ist ohnehin Skepsis angebracht. Was soll ein CDUler auch sonst über Grün-Rot im Ländle schreiben? Man erwartet einen Verriss - er liefert einen Verriss.

Können sich Winfried Kretschmann (Grüne) und Nils Schmid (SPD) deshalb gelassen zurücklehnen? Das nun auch wieder nicht, denn ein Quäntchen Wahrheit ist den Worten Peter Hauks nicht abzusprechen. Zwar kann die Landes-CDU ihr Ergebnis (45,7 %) nicht einfach auf 2016 hochrechnen, dennoch sollte das vergleichsweise schwache Abschneiden der Landes-Grünen (11 %) und der Landes-SPD (20,6 %) den Stuttgarter Regierungsparteien zu denken geben. Wahlanalysen zufolge wurde Grün-Rot am 27. März 2011 hauptsächlich von den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gewählt, die die als arrogant empfundene Mappus-CDU bis obenhin satt hatten. Nach einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung haben 35 Prozent der Beamten, die zur Wahl gingen, die Grünen gewählt. 27 Prozent die SPD. Und bloß 31 Prozent die CDU. [2] Wegen der überwiegend konservativen Beamtenschaft Baden-Württembergs eine faustdicke Überraschung.

Doch ausgerechnet diese wichtige Wählergruppe hat Grün-Rot inzwischen nachhaltig verprellt: Beamte bekommen entgegen den vor der Landtagswahl gemachten Aussagen das Tarifergebnis nur verzögert aufs Gehaltskonto überwiesen. Die angekündigte Streichung von Lehrerstellen erzürnt sogar die traditionell SPD-nahe Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). In den Wahlprogrammen versprachen Grüne und SPD noch "zusätzliche Lehrkräfte", jetzt werden es mit einem Mal weniger. Die geplanten Änderungen im Landespersonalvertretungsgesetz fallen recht bescheiden aus und gehen, Stichwort "verbindliche Geschlechterquote", sogar in eine verfassungsrechtlich bedenkliche Richtung. [3] Der Landespolizei wird eine Polizeireform aufgepfropft, die bei den Beschäftigten fast durchweg auf Ablehnung stößt. Die Regierung Kretschmann läuft diesbezüglich Gefahr, nur den gefilterten Informationen von Führungskräften Glauben zu schenken, diesen Fehler hat aber schon die Mappus-CDU gemacht, was eine Ursache ihres Wahldebakels von 2011 gewesen ist.

Da kommt eine geballte Ladung Frust zusammen, insofern ist das Ergebnis der Bundestagswahl in Baden-Württemberg für Grün-Rot ein deutlicher Warnschuss. Wenn die Landesregierung so weitermacht wie bisher, wird ihr 2016 selbst die Beliebtheit des Ministerpräsidenten nicht mehr viel nützen. Oder will Kretschmann einen inhaltsleeren Wahlkampf à la Merkel abliefern? Wenn ich als Personalrat meine Wählerinnen und Wähler derart vor den Kopf stoßen würde, müsste ich jedenfalls mit einer Abwahl rechnen. Und das zu Recht. Das Gedächtnis des Wahlvolks ist bekanntlich kurz, trotzdem wünscht sich bislang kaum jemand die hochnäsige und beratungsresistente Mappus-CDU zurück, dazu war deren Wirken viel zu verheerend. Aber wenn Grün-Rot im Ländle das Ruder nicht erkennbar herumreißt, könnte es für die Regierungsparteien böse enden.

Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die 2011 überproportional Grün-Rot gewählt haben, brauchen nämlich einen Grund, es 2016 erneut zu tun. Doch mit Ignoranz und dem Durchziehen eines der Kernwählerschaft übel aufstoßenden Kurses werden die Regierungsparteien bei der nächsten Landtagswahl möglicherweise kläglich scheitern. Das sagt kein CDUler, sondern einer, der Grün-Rot 2011 geradezu herbeigesehnt hat. Deshalb mein Rat: Lasst den politischen Gegner lästern, das macht er sowieso, aber hört gefälligst auf eure politischen Freunde. Und die sagen mittlerweile etwas enttäuscht: So nicht!

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[1] Die CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, Newsletter der CDU-Landtagsfraktion zur Bundestagswahl 2013 vom 23.09.2013
[2] Konrad-Adenauer-Stiftung, Landtagswahl in Baden-Württemberg 2011, Wahlverhalten in Bevölkerungsgruppen, PDF-Datei mit 339 kb
[3] siehe Verbindliche Geschlechterquote führt zu absurden Ergebnissen vom 22.04.2013