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16. November 2013, von Michael Schöfer
Sturm im Wasserglas


Viel Aufregung um nichts: "Die Post will erneut das Briefporto erhöhen", titelt Die Welt. Die Anhebung des Briefportos von 58 Cent auf 60 Cent für den Standardbrief sorge angeblich wieder für Diskussionen. "Damit steigt der Portopreis für Briefe innerhalb eines Jahres um neun Prozent: von 55 Cent Ende des vergangenen Jahres auf 60 Cent Anfang 2014. Nach 15 Jahren mit einem stabilen Portopreis ist das ein ungewöhnlich großer Sprung." [1] "Höheres Brief-Porto aus Profitgier der Post?", fragt der Focus. "Tatsächlich liegt die Preiserhöhung bei 3,4 Prozent und die Inflation in Deutschland bei deutlich unter zwei Prozent", wird Klaus Müller, Chef der Verbraucherzentrale NRW, zitiert. [2] Schockschwerenot!

Es ist ja so leicht, sich über Preiserhöhungen zu echauffieren. Nur sollte man sich vorher informieren und ein bisschen nachdenken, genau besehen entpuppt sich nämlich die Empörung als Sturm im Wasserglas. Nachfolgend die Preisveränderungen des Briefportos für den Standardbrief Inland [3]:

Datum
Euro Veränderung in %
1.4.1989 0,51 Euro (1,00 DM) -
1.9.1997 0,56 Euro (1,10 DM) + 9,8 %
1.1.2003 0,55 Euro - 1,8 %
1.1.2013 0,58 Euro + 5,5 %
1.1.2014 0,60 Euro + 3,4 %

Wer rechnen kann, ist eindeutig im Vorteil, denn er weiß, dass das Porto für den Standardbrief zwischen 1989 und der bevorstehenden Erhöhung im Januar 2014 um lediglich 17,65 Prozent gestiegen ist. Der Verbraucherpreisindex hat jedoch zwischen 1991 und 2012 um 48,3 Prozent zugelegt, und zwar von 70,2 auf 104,1 Punkte. [4] Im Durchschnitt hat die Deutsche Post AG das Briefporto also jährlich um vergleichsweise mickrige 0,7 Prozent angehoben (2003 wurde es sogar gesenkt). Und im internationalen Vergleich braucht sich Deutschland ebenso wenig zu verstecken, wir liegen vielmehr derzeit fast genau im europäischen Durchschnitt (siehe Schaubild). [5]



Trotz der moderaten Anhebung des Briefportos bekamen die Mitarbeiter der Deutschen Post AG deutlich mehr Gehalt:

  • 2004 und 2005 gab es ein Gehaltsplus von 2,7 Prozent bzw. 2,3 Prozent. [6]
  • 2006 und 2007 gab es ein Gehaltsplus von 3,0 Prozent bzw. 2,5 Prozent. [7]
  • 2008 und 2009 gab es ein Gehaltsplus von 4,0 Prozent bzw. 3 Prozent. [8]
  • 2012 gab es ein Gehaltsplus von 4,0 Prozent. [9]
  • 2013 gab es ein Gehaltsplus von 3,1 Prozent, und 2014 wird es eines in Höhe von 2,6 Prozent geben. [10]
Ich erspare es dem Leser, bei den Tarifrunden bis ins Jahr 1989 zurückzugehen. Klar wird jedenfalls, dass die unterdurchschnittlichen Erhöhungen beim Briefporto nicht zulasten der Mitarbeiter gegangen sind. Ohnehin sinkt die Beförderung von Briefen rapide, insbesondere Privatpersonen schreiben heutzutage überwiegend E-Mails. "Im letzten Jahr wurden mit der Deutschen Post 7,6 Milliarden Briefe verschickt, das waren 300 Millionen weniger als im Jahr 2002" [11] Die Bedeutung des Briefportos relativiert sich damit enorm. Mit anderen Worten: Für die Aufregung über die Preiserhöhung im Januar 2014 gibt es überhaupt keinen Grund. Mit ihrem Alarmismus ("Höheres Brief-Porto aus Profitgier") machen sich einzelne Publikationen mal wieder mit aller Kraft lächerlich. Fazit: Bitte regt euch auf, wenn's wirklich notwendig ist.

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[1] Die Welt-Online vom 16.11.2013
[2] Focus-Online vom 15.11.2013
[3] denken24.de
[4] Statistisches Bundesamt, Verbraucherpreisindizes für Deutschland, Lange Reihen ab 1948, PDF-Datei mit 242 kb. Auf Gesamtdeutschland bezogene Daten für 1989 und 1990 liegen nicht vor, das Jahr 2013 ist noch nicht vollständig erfasst
[5] Deutsche Post AG, Briefpreise in Europa 2013, Seite 7, PDF-Datei mit 2 MB
[6] WSI-Tarifarchiv, Überblick Tarifrunde 2004
[7] WSI-Tarifarchiv, Überblick Tarifrunde 2006
[8] WSI-Tarifarchiv, Überblick Tarifrunde 2008
[9] WSI-Tarifarchiv, Überblick Tarifrunde 2012
[10] Deutsche Post AG
[11] Mannheimer Morgen vom 16.11.2013