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06. Januar 2017, von Michael Schöfer
Woher kommt all der Hass, der sich da austobt?


Bis Ende Oktober 2016 wurden in Sachsen 71 Angriffe auf Büros von Bundes- und Landtagsabgeordneten angezeigt (2014: 29 Fälle, 2015: 40 Fälle). Eine dramatische Steigerung. "Die Linkspartei zählte seit Beginn des Jahres 42 Übergriffe auf Wohnungen oder Infostände, Anschläge auf Büros und Drohungen gegen Mitglieder." [1] Doch die Annahme, es treffe dort vor allem Linke, ist falsch. Auch die AfD wurde von 23 Anschlägen getroffen. In Brandenburg wurden von Januar bis September 16 Parteibüros der AfD attackiert, die Linke war fünfmal betroffen, die SPD dreimal und die CDU einmal. [2]

Wer allerdings glaubt, das Ganze sei ein ostdeutsches Problem, der täuscht sich gewaltig, denn die Welle der Gewalt schwappt durch alle Bundesländer. In Mannheim bekam die Junge Union 2009, 2012 und 2015 insgesamt dreimal die Scheiben ihres Büros eingeworfen. Irgendwelche angeblich antifaschistischen Intelligenzallergiker entblödeten sich nicht zu bekennen: "In der letzten Nacht haben wir das Büro der Jungen Union Mannheim in der Schwetzingerstadt entglast. Damit drücken wir unsere Wut über die Politik der Regierung Merkel aus. Merkels Politik für das Kapital und die Angriffe der Herrschenden gegen die europäische Arbeiterklasse werden wir nicht mehr schweigend hinehmen!" [3] Mit ein Grund dafür, dass die Jugendorganisation der CDU vor kurzem umgezogen ist. Politiker und Parteien haben mittlerweile angesichts der Schäden große Probleme, Büros anzumieten. Und egal wie man zur AfD steht, aber wenn Frauke Petry Mühe hat, in Leipzig eine Wohnung zu finden, weil den Vermietern das Risiko zu groß ist, läuft etwas grundlegend falsch in dieser Republik. Inzwischen geben Politiker vereinzelt sogar ihr Amt auf, beispielsweise der Bocholter SPD-Chef Thomas Purwin, weil sie und ihre Angehörigen bedroht werden.

Diese Angriffe, egal woher sie kommen und gegen wen sie gerichtet sind, treffen die Demokratie (Lincoln: die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk) bis in Mark, denn sie lebt von politischen Gegensätzen und vom Streit über den richtigen Weg. Solange alles in geordneten (d.h. friedlichen) Bahnen abläuft, ist das auch völlig in Ordnung. Ohne die Diskussion, ohne den Austausch von Argumenten, ohne Mehrheitsentscheide, die nun mal naturgemäß eine Minderheit unzufrieden machen, aber Abstimmungsniederlagen dennoch akzeptieren lassen, geht eine Gesellschaft zugrunde. Sie erstarrt, wenn der freie Meinungskampf unterbunden wird. Und wohin gesellschaftliche Erstarrung führt, genügt ein Blick in die Geschichtsbücher. Negativbeispiele gibt es mehr als genug. Streit ist unzweifelhaft das Lebenselixier der Demokratie. Doch wenn Angst herrscht, geht sie peu à peu zugrunde, weil sich immer weniger trauen, ihre Meinung zu äußern. Es steht jedem frei, die CDU nicht zu mögen, aber darf man ihr deshalb die Scheiben einwerfen? Die Äußerungen der AfD können einem zutiefst zuwider sein, aber gibt einem das die Erlaubnis, das Auto der Parteivorsitzenden abzufackeln? Man kann von linken Thesen halten was man will, doch rechtfertigt das Drohungen gegen Parteimitglieder? Natürlich nicht. Nein, nein und nochmals nein!

Homo homini lupus - der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Wir sind eine ungemein aggressive Spezies. Woher kommt bloß all der Hass, der sich da austobt? Und was können wir dagegen tun? In jüngster Zeit hat auf diese Fragen wohl niemand prägnanter geantwortet als die Publizistin Carolin Emcke in ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises 2016:

"Eine freie, säkulare, demokratische Gesellschaft ist etwas, das wir lernen müssen. Immer wieder. Im Zuhören aufeinander. Im Nachdenken über einander. Im gemeinsamen Sprechen und Handeln. Im wechselseitigen Respekt vor der Vielfalt der Zugehörigkeiten und individuellen Einzigartigkeiten. Und nicht zuletzt im gegenseitigen Zugestehen von Schwächen und im Verzeihen. Ist das mühsam? Ja, total. Wird das zu Konflikten zwischen verschiedenen Praktiken und Überzeugungen kommen? Ja, gewiss. Wird es manchmal schwer sein, die jeweiligen religiösen Bezüge und die säkulare Grundordnung in eine gerechte Balance zu bringen? Absolut. Aber warum sollte es auch einfach zugehen? Wir können immer wieder anfangen. Was es dazu braucht? Nicht viel: etwas Haltung, etwas lachenden Mut und nicht zuletzt die Bereitschaft, die Blickrichtung zu ändern, damit es häufiger geschieht, dass wir alle sagen: Wow. So sieht es also aus dieser Perspektive aus." [4]

Dem noch etwas hinzufügen zu wollen, wäre vermessen.

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[1] Märkische Online-Zeitung vom 31.12.2016
[2] rbb vom 18.11.2016
[3] linksunten.indymedia.org, anonymouse vom18.03.2012
[4] carolin-emcke.de, Rede zum Friedenspreis