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19. Mai 2017, von Michael Schöfer
Hütet euch vor solchen Helden


Schwedens Justiz hat die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange fallen gelassen. Aber nicht, weil sich seine Unschuld herausgestellt hätte, nein, weil sie keine Möglichkeit mehr sieht, dass Assange "in naher Zukunft" ausgeliefert werden könnte. Der Wikileaks-Gründer hat sich nämlich dem Verfahren, das seine Schuld klären sollte, vor fünf Jahren durch Flucht in die Londoner Botschaft Ecuadors entzogen. Seitdem harrt er dort aus. Notgedrungen, denn jeder Schritt über die Türschwelle würde unweigerlich zu seiner Verhaftung führen.

Wikileaks hat zweifellos seine Verdienste. Politiker können nicht mehr davon ausgehen, sämtliche Vorgänge geheim zu halten. Angesichts der fortgeschrittenen Digitalisierung und Vernetzung lassen sich Leaks kaum noch verhindern. Und wenn dann anderntags die politischen Sauereien für jeden einsehbar auf Wikileaks zu lesen sind, ist das ein wichtiger Beitrag zur Transparenz. Darauf ist jede Demokratie angewiesen. Die Bürger haben ein Recht darauf zu wissen, was wahr und was gelogen ist. Anders kann man gar nicht zu vernünftigen Wahlentscheidungen kommen.

Aber niemand steht über dem Gesetz - auch Julian Assange nicht. Dennoch nimmt er sich genau das heraus. Wie ein x-beliebiger Straftäter sieht er keine Notwendigkeit, sich der Justiz zu stellen. Ob die Anschuldigungen richtig oder falsch sind, immerhin geht es um den Vorwurf der Vergewaltigung, hat einzig und allein das zuständige Gericht zu entscheiden. Assange meint jedoch, es reiche vollkommen, wenn er das tue. Seine Beteuerung "Ich bin vollkommen unschuldig" ist absoluter Bullshit. Das sagen ohnehin alle. Und wir reden hier wohlgemerkt nicht über ein Verfahren in Russland, Saudi-Arabien oder der Türkei. Nein, wir reden über die altehrwürdige schwedische Demokratie, die, was das Ranking in puncto Rechtsstaatlichkeit angeht, stets auf den vordersten Plätzen zu finden ist.

Welch verqueres Weltbild Julian Assange pflegt, zeigt seine Reaktion auf die Einstellung der Ermittlungen. Er werde weder vergeben noch vergessen, sagt er, schließlich sei er sieben Jahre ohne Anklage eingesperrt worden. (Hinweis: Zwei Jahre vor seiner Flucht in die ecuadorianische Botschaft wurde Assange unter Auflagen und der Bereitstellung einer Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen. Diese Zeit zählt er offenkundig dazu.) Das Ende der Ermittlungen sei ein "wichtigen Sieg", aber "der richtige Krieg" fange gerade erst an. Allerdings ist er nie in die Botschaft eingesperrt worden, er hat sich dorthin geflüchtet. Ein nicht unwesentlicher Unterschied.

Natürlich wäre es denkbar, dass die Vorwürfe fingiert sind, um Assange nach Abschluss der Gerichtsverhandlung an die USA auszuliefern. Wer nie schmutzige Tricks angewandt hat, werfe den ersten Stein. Und wer glaubt, westliche Staaten würden sich immer ans Recht halten und auf unethische Methoden verzichten, ist naiv. Das kann freilich genauso gut eine Schutzbehauptung von Assange sein. Wenn der Wikileaks-Gründer jedes Vertrauen in den Rechtsstaat verloren hat, darf er nie wieder seinen Fuß über die Schwelle der ecuadorianischen Botschaft setzen, denn auch die Briten könnten ihn an die USA ausliefern. Jederzeit, irgendeinen Anlass, und sei es eine Lappalie, finden die Behörden bekanntlich immer.

Nein, man sollte jedem misstrauen, der sich über das Gesetz stellt und nach Gutdünken seine eigene Welt zurechtbastelt. Wer fordert, dass sich Regierungen ans Gesetz halten, muss sich dem Gesetz selbstverständlich ebenfalls beugen. Ein kurzer Blick in die Geschichtsbücher genügt, um zu sehen, was Menschen, die glauben ihre eigenen Regeln aufstellen zu können, anrichten. Und der Unterschied zwischen Kriminellen und Autokraten ist lediglich die Macht, für Verbrechen ungesühnt davonzukommen. Jedenfalls meistens. Wäre Assange so mächtig wie Erdogan, würde sein Handeln in der Konsequenz vermutlich auf das gleiche Ergebnis hinauslaufen. Hütet euch vor solchen Helden.