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08. Mai 2018, von Michael Schöfer
Voreilige Spekulationen und Schuldzuweisungen


"Hacker-Angriff auf die nordrhein-westfälische Landwirtschaftsministerin Christina Schulze Föcking", lauteten die alarmierenden Schlagzeilen Mitte März. "Hacker erlangen Kontrolle über TV von NRW-Ministerin." [1] "Auf dem Fernsehgerät in ihrem privaten Wohnhaus lief am Donnerstag plötzlich eine Aufnahme aus einer Fragestunde im Landtag, in der es um die Schweinehaltung in ihrem Familienbetrieb gegangen war." [2] BILD sprach von einer "Cyber-Attacke auf Fernseher von Christina Schulze Föcking". [3] N-tv wusste schon ungefähr, wie: "Unbekannte verschafften sich offenbar Zugang zu dem Datennetz in ihrem Wohnhaus und manipulierten ihren Fernseher." [4]

Am deutlichsten bezog wohl Johannes Röring Stellung, der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands (WLV): Er verurteilte "den Angriff auf die Privatsphäre der gesamten Familie Schulze Föcking auf das Schärfste: 'Es ist schockierend festzustellen, zu welchen Grenzüberschreitungen einzelne Vertreter der Tierrechtsszene mittlerweile fähig sind. Mit dieser Form des Psychoterrors zeigt die Agitation von Teilen der Tierrechtsszene eine neue abstoßende Qualität, die mit allen Mitteln des Rechtsstaats konsequent zu ahnden ist.'" [5]

"Smart-TVs bieten den Zuschauern viele schöne Funktionen, können aber auch ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen. Das zeigt der Fall Christina Schulze Föcking. Bei der NRW-Landwirtschaftsministerin hackten sich Kriminelle auf ihren privaten Fernseher, spielten dort ein Video ab…", warnte das Institut für Internet-Sicherheit. [6] Christina Schulze Föcking ist schließlich nicht die einzige Besitzerin eines solchen Geräts. Zumindest diesmal wurden keine russischen, nordkoreanischen oder chinesischen Hacker verdächtigt.

Doch jetzt stellt sich heraus: Der vermeintliche "Cyber-Angriff" fand gar nicht statt, es war nämlich bloß ein läppischer Bedienfehler. "Wie die Ministerin nun mitteilte, liegt bereits seit dem 18. April das vorläufige Ergebnis einer computerforensischen Untersuchung vor. Die Ermittler gehen davon aus, 'dass die Videoübertragung unbemerkt und unbeabsichtigt durch ein für das Heimnetz berechtigtes Gerät in einer anliegenden Wohnung der Familie ausgelöst wurde'. Im Klartext: Jemand hat die Aufnahme aus dem Landtag versehentlich abgespielt und auf das digitale Fernsehgerät übertragen." [7] Das ist zwar ein bisschen peinlich, kann aber durchaus passieren - vor allem, wenn man die Bedienungsanleitung nicht genau durchliest oder generell unerfahren mit Heimnetzwerken ist.

Dennoch kein Grund zu Spott und Häme, allerdings sollte uns der Fall eine Lehre sein, denn unisono wurde der mutmaßliche Hacker-Angriff sofort als Tatsache dargestellt. Und das, obgleich zu diesem Zeitpunkt keinerlei Informationen zur Verfügung standen - ja, wie man jetzt weiß, in Ermangelung eines Angriffs gar nicht zur Verfügung stehen konnten. Es wurden sogar Verdächtige genannt (Vertreter der Tierrechtsszene). Nun müssen alle eingestehen, dass sie völlig falsch lagen. Das heißt jedoch nicht, dass es keine Hacker-Angriffe gibt, aber dass die Zuordnung, wer dafür verantwortlich ist, meist sehr schwer ist. Mit voreiligen Spekulationen und Schuldzuweisungen ist keinem gedient, es ist in solchen Fällen wesentlich besser, erst einmal die Ermittlungsergebnisse abzuwarten. Jeder kann sich leicht ausmalen, wie die Sache hätte ablaufen können: Durchsuchungsbeschluss bei bekannten Tierschützern, Beschlagnahme sämtlicher Computer, unter Umständen Untersuchungshaft, daraus resultierend eventuell der Verlust des Arbeitsplatzes… Und das alles bloß wegen eines Bedienfehlers durch die Familie der angeblich Geschädigten, es betraf ja das Mitglied einer Landesregierung.

Besonders brisant wird das Ganze auf zwischenstaatlicher Ebene, weil manche nicht nur die Verteidigung gegen Cyber-Angriffe planen, sondern selbst Cyber-Angriffe durchführen wollen: "Hack Back - der Traum vom digitalen Gegenschlag." [8] Früher befürchtete man zu Recht einen Atomkrieg aus Versehen, heute sind Cyberkriege wegen eines banalen Bedienfehlers im Bereich des Möglichen. Gerade wegen der Komplexität von IT-Systemen ist im Falle eines (vermuteten) Angriffes Besonnenheit ratsam. Die Presse könnte dazu beitragen, ein Klima der Besonnenheit zu erzeugen, leider sieht die Realität anders aus.

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[1] Focus-Online vom 16.03.2018
[2] Süddeutsche vom 16.03.2018
[3] Bild.de vom 16.03.2018
[4] n-tv vom 16.03.2018
[6] Institut für Internet-Sicherheit vom 29.03.2018, Risiko Smart-TV: Einfallstor für Hacker
[7] WDR vom 07.05.2018
[8] Die Welt-Online vom 11.04.2018