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31. Mai 2019, von Michael Schöfer
Nachdenken wäre hilfreich gewesen


Dass Hardy Prothmann auf dem Rheinneckarblog oft zu persönlichen Angriffen neigt, habe ich ja schon 2016 bedauert. [1] Leider hat sich daran nicht allzu viel geändert, weshalb ich das Rheinneckarblog nur noch selten besuche. Nun hat Prothmann erneut zugeschlagen.

In seinem Artikel "Vollständig irrationale Wahlergebnisse - auch in Mannheim" suggeriert er, dass mit dem Wahlergebnis der Mannheimer Grünen irgendetwas nicht in Ordnung wäre. Außerdem schlägt Prothmann abermals unter die Gürtellinie. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Melis Sekmen, sei "vollständig unfähig, ohne holprige Versprecher eine freie Rede zu führen und bekannt dafür, selbst vorbereitete Text zu verhaspeln". Es kommt ihm eigenartig vor, dass Sekmen mit 56.030 Stimmen Stimmenkönigin der Gemeinderatswahl wurde. Und weil der "engagierte und umfassend respektierte Lokalpolitiker Wolfgang Raufelder (…) 2014 bei der Kommunalwahl in Mannheim als Spitzenkandidat der Grünen ein herausragendes Ergebnis mit 36.089 Stimmen" erzielte, raunt Prothmann mit Blick auf Sekmens Erfolg: "Das muss erstaunen. Das muss viele kritische Fragen aufwerfen, denn 'normal' ist das nicht. (…) Rational ist ein solch durchschlagendes Wahlergebnis überhaupt nicht zu erklären." [2] Was will er damit andeuten? Etwa eine Verschwörung? Wahlbetrug? Er legt sich da nicht fest, die Andeutung genügt ihm völlig. Fragen wird man ja wohl noch dürfen...

Dabei ist an dem Ergebnis überhaupt nichts ungewöhnlich, das lässt sich sogar rational nachvollziehbar erläutern. Es wäre hilfreich gewesen, Prothmann hätte vorher ein bisschen darüber nachgedacht. Betrachten wir die Sache einmal logisch:

2014 haben bei der Gemeinderatswahl 89.833 Wählerinnen und Wähler abgestimmt (Wahlbeteiligung 38,7 %), 2019 waren es jedoch 118.700 (Wahlbeteiligung 49,8 %). 2019 haben somit 28.867 Wählerinnen und Wähler mehr abgestimmt als 2014 (bei 48 Stimmen ergibt das ein zusätzliches Stimmenpotenzial von 1.385.616 Stimmen). Wer rechnen kann weiß, das ist nicht unwichtig.

2014 bekamen die Grünen insgesamt 610.758 Stimmen (16,3 %), 2019 jedoch 1.234.973 Stimmen (24,4 %), also mehr als doppelt so viele. [3]

Es lässt sich aus dem Endergebnis nicht nachvollziehen, wie viele Stimmzettel verändert und wie viele unverändert abgegeben wurden. Ebenso wenig, wie viele Wähler die Grünen hatten (es werden ja bloß die gültigen Stimmen gezählt). Teilen wir deshalb bei den Grünen die Stimmen jeweils durch 48, um die Anzahl der Wähler zu schätzen. Das ergibt dann für die Gemeinderatswahl von vor fünf Jahren 12.724 Wähler (610.758 : 48) und für die Gemeinderatswahl vom vergangenen Sonntag 25.728 Wähler (1.234.973 : 48). Durch die Möglichkeit des Panaschierens (für Kandidaten mehrerer Listen stimmen) wird das mit Sicherheit nicht hundertprozentig zutreffen, ist aber ein plausibler und damit zulässiger Näherungswert, mit dem man arbeiten kann.

Nehmen wir nun an, jeder Wähler hätte durchgängig kumuliert (Stimmen angehäuft), also allen ausgewählten Kandidaten drei Stimmen gegeben. Nehmen wir weiter an, Wolfgang Raufelder hätte 2014 von jedem Wähler der Grünen drei Stimmen erhalten und Melis Sekmen 2019 von jedem Wähler der Grünen ebenfalls drei Stimmen (was im Übrigen bei Spitzenkandidaten keineswegs ungewöhnlich wäre). Das Ganze sieht dann wie folgt aus:

Gemeinderatswahl 2014: 12.724 x 3 = 38.172 Stimmen für Wolfgang Raufelder

Gemeinderatswahl 2019: 25.728 x 3 = ‬ 77.184 Stimmen für Melis Sekmen

Wie man sieht, kommt die geschätzte Stimmenzahl für Raufelder dem tatsächlichen Ergebnis (36.089) recht nahe. Bei Sekmen war die tatsächliche Stimmenzahl sogar deutlich niedriger als die in der Beispielrechnung maximal erreichbare. Anders ausgedrückt: Es hätten durchaus mehr als 56.030 sein können. Raufelder hat sein Potenzial offenbar optimal ausgenutzt, während bei Sekmen diesbezüglich noch Luft nach oben ist. Außerdem darf nicht unerwähnt bleiben, dass Melis Sekmen schon bei der Gemeinderatswahl 2014 hinter Wolfgang Raufelder auf Platz 2 landete. Mit beachtlichen 27.820 Stimmen. Prothmann übergeht das. Absichtlich? Die Grünen haben ihr Ergebnis von 2014 mehr als verdoppelt, und dann soll die Verdoppelung der Stimmen für Melis Sekmen aus dem Rahmen fallen? Es trifft wohl eher das Gegenteil zu. Vielleicht ist sie doch kompetenter, als uns Prothmann weismachen will.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Man muss beim Ergebnis der letzten Gemeinderatswahl gar nichts hinterfragen, da ist alles - sprichwörtlich - im grünen Bereich. Aber es ist natürlich fürs Weblog von Prothmann wesentlich interessanter, nicht nachvollziehbare Vorgänge anzudeuten. Bringt mehr Leser, hat aber zum Glück keine reale Grundlage.

Und was die persönlichen Angriffe auf Sekmen angeht… Nein, auf dieses Niveau will ich mich gar nicht erst hinabbegeben. Hardy Prothmann lobt sich und seine Arbeit häufig selbst, doch meiner Meinung nach sieht seriöser Journalismus anders aus.

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[2] Rheinneckarblog vom 31.05.2019, abgefragt 18:29 Uhr
[3] Stadt Mannheim, Gemeinderatswahl 2014, Amtliches Endergebnis, PDF-Datei mit 45 kB und Gemeinderatswahl 2019, Vorläufiges Ergebnis der Gemeinderatswahl, PDF-Datei mit 6 kB

Klarstellung: Ich bin kein Mitglied der Grünen, war es jedoch mal bis Anfang 1999. Zur Partei habe ich seit langem keinerlei Kontakt mehr. Und Frau Sekmen ist mir nur aus der Lokalpresse bekannt, ich bin ihr nie persönlich begegnet.