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12. Mai 2023, von Michael Schöfer
Opportunismus hoch drei


Ihr Bayern seid wirklich ein komisches Völkchen - das könnte man jedenfalls meinen, wenn man sich an den Kapriolen von Markus Söder orientiert. Der bayerische Ministerpräsident hat angekündigt, gegen den Länderfinanzausgleich zu klagen. "Wir wollen den Länderfinanzausgleich nicht abschaffen, aber reformieren und die bayerischen Steuerzahler entlasten." [1] Dass Deutschland ein einheitlicher Wirtschaftsraum ist und das Grundgesetz in Artikel 72 "die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" fordert, ficht ihn offenbar nicht an. Bayern zahlt zu viel. Punkt. Greetings from Munich.

Auf einem anderen Gebiet, den Strompreiszonen, dreht sich die Argumentation Söders schlagartig um 180 Grad. Die norddeutschen Flächenländer Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen haben sich dafür ausgesprochen, "Deutschland in verschiedene Preiszonen beim Strom aufzuteilen." [2] Hintergrund: Windkraftstrom ist billig, wird aber vor allem im Norden produziert. Die bayerische Landesregierung gefällt sich ja bekanntlich darin, Windkraftanlagen im eigenen Bundesland nach Kräften zu verhindern, weshalb es davon im Süden viel zu wenige gibt. 2022 wurden in Bayern ganze 14 Windkraftanlagen errichtet - bundesweit waren es 551. [3]

Weil sich die bayerische Landesregierung obendrein darin gefällt, sogenannte "Monstertrassen" zu verhindern, gibt es derzeit auch nicht genug Leitungskapazität, um günstigen Windstrom von Nord nach Süd zu transportieren. Der Ausbau der Netze hat sich durch den bayerischen Widerstand um Jahre verzögert, und er wird sich durch die von Bayern durchgesetzte Erdverkabelung erheblich verteuern. Zahlen müssen das, dreimal dürfen Sie raten, ja genau: alle. Selbst die im Norden, die gar nichts gegen oberirdische Stromtrassen einzuwenden hatten. Weil die Leitungskapazität in Nord-Süd-Richtung chronisch knapp ist, muss zudem öfter teurer fossiler Strom vom Ausland nach Süddeutschland importiert werden, den höheren Strompreis zahlen die Norddeutschen ebenfalls mit, obwohl sie lieber den billigen Windstrom nach Süddeutschland geschickt hätten. Wenn andere zu viel für Bayern zahlen, beschwert sich Söder nicht. Er besteht sogar darauf, schließlich ist Deutschland ein einheitlicher Wirtschaftsraum. [4] Greetings from Munich.

Weil das alles einigermaßen verwirrend ist, nachfolgend noch einmal kurz die sich widersprechenden Argumentationslinien:
  • Beim Länderfinanzausgleich wehrt sich Söder gegen den einheitlichen Wirtschaftsraum, weil das Bayern entlastet.
  • In puncto Strompreise ist Söder für den einheitlichen Wirtschaftsraum, weil auch das Bayern entlastet.
Diese Haltung ist in meinen Augen Opportunismus hoch drei. Entweder bin ich generell gegen den einheitlichen Wirtschaftsraum oder generell dafür. Und wenn ich weiß, was ich will, vertrete ich diese Position mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Aber ich suche mir doch nicht je nach Situation das jeweils Passende heraus, denn so etwas ist extrem unseriös. Dass Markus Söder den Umfragen zufolge bei der Landtagswahl im Herbst gute Chancen hat, in der kommenden Legislaturperiode mit der jetzigen Regierungskoalition (CSU, Freie Wähler) weitermachen zu können, ist angesichts seiner eklatanten Prinzipienlosigkeit wirklich erstaunlich. In Bayern gehen die Uhren offenbar tatsächlich anders.

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[1] ZDF vom 06.03.2023
[2] tagesschau.de vom 24.09.2022
[3] Süddeutsche vom 18.01.2023
[4] tagesschau.de vom 12.05.2023