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02. April 2024, von Michael Schöfer
Bitte an die eigene Nase fassen


In der Printausgabe der Süddeutschen Zeitung erschien am 11. März 2024 auf Seite 9 ein Gastbeitrag von Franz Müntefering: "Besserwisser und Wenigtuer" [1] Was dieses gehässige Nachtreten von Franz Müntefering 25 Jahre (!) nach dem Rücktritt von Oskar Lafontaine soll, wird sich wohl den wenigstens Leserinnen und Lesern erschließen. Beispiele: "Er war und ist und bleibt ein selbstgefälliger Lautsprecher, der Ideen hat und Forderungen, aber sich nur mickrig engagiert. Besserwisser und Wenigtuer." Oskar, der Klugscheißer und Low Performer. "Er blickt in den Spiegel und findet sich toll", behauptet Müntefering. Oskar, der Eingebildete. Frage: Seit wann kann der gelernte Industriekaufmann Gedanken lesen? Oder verdankt der Hobby-Psychologe seine Erkenntnisse einem Videoclip-Studium auf der YouTube-Universität?

Dass die Süddeutsche den persönlichen Animositäten Münteferings Raum gibt, irritiert. Und das ausgerechnet von einem, der mitverantwortlich für den Niedergang der SPD gewesen ist. Entgegen den Aussagen des Wahlprogramms 2002 [2] half er an führender Stelle mit, Gerhard Schröders Agenda-Politik durchzusetzen. Von anderen gebrochenen Wahlversprechen, etwa der weiteren Absenkung des Rentenniveaus, ganz zu schweigen. Anschließend folgte ein Wahldebakel nach dem anderen (allein zwischen dem 2. Februar 2003 und dem 22. Mai 2005 verlor die SPD elfmal in Folge Prozentpunkte bei Landtagswahlen). Glaubt man Franz Müntefering, war daran aber allein der bereits 1999 zurückgetretene Lafontaine schuld. So viel Selbstgerechtigkeit ist kaum auszuhalten und in der Süddeutschen vollkommen deplatziert.



"Rücksichtslose Diffamierung mit dem Ziel der Demütigung ist menschlich unanständig und für Demokraten unakzeptabel", betonte Müntefering 2010. Damals war das auf Markus Söder gemünzt. [3] Allerdings wird er, wie wir oben sehen, seinen Ansprüchen selbst nicht gerecht. Deshalb: Bitte an die eigene Nase fassen und nicht niveaulos über andere herziehen!

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[1] Süddeutsche vom 11.03.2024, Paywall, T-Online berichtet darüber
[2] "Wir bekennen uns zur besonderen Verantwortung gegenüber den Schwächeren in unserer Gesellschaft. Deswegen wollen wir im Rahmen der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung der zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau."
Friedrich-Ebert-Stiftung, Regierungs- und Wahlprogramme der SPD zu den Bundestagswahlen, Bundestagswahl 2002, Seite 27, Hervorhebung durch den Verf., PDF-Datei mit 3,1 MB
[3] Süddeutsche vom 17.05.2010