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12. August 2024, von Michael Schöfer
Zurück zur autogerechten Stadt


Die FDP ist nicht technikbegeistert, sondern steht den negativen Folgen der Technik gleichgültig gegenüber. "Wir Freie Demokraten sind gegen unverhältnismäßige Verbote in der Mobilität. Wir setzen auf Innovationen, Vernunft und Freiheit. Tempolimits, Diesel- oder Motorradfahrverbote sind weder progressiv noch nachhaltig", stand 2021 im Bundestagswahlprogramm der FDP. "Innovationen und eine bessere Infrastruktur können die Verkehrssicherheit und einen umweltfreundlichen Verkehrsfluss voranbringen. Pauschale Einschränkungen des Individualverkehrs sind keine Lösung. Intelligente und innovative Verkehrslenkung bietet hingegen enorme Möglichkeiten." [1] Innovation ist offenbar das Lieblingswort der Liberalen und es klingt zugegebenermaßen gut, im 67 Seiten starken Wahlprogramm kommt es deshalb sage und schreibe 84-mal vor. Doch ist auch wirklich Innovation drin, wo Innovation draufsteht?

Wenig innovativ ist beispielsweise, wenn die FDP offenbar zur autogerechten Stadt der Nachkriegszeit zurückwill. Ein Konzept, das die Stadtplaner zu unserem Leidwesen bis weit in die siebziger Jahre hinein verfolgt haben. Viele solche Bausünden sind heute noch zu bewundern, etwa die Hochstraßen in Ludwigshafen am Rhein, der angeblich hässlichsten Stadt Deutschlands. Die FDP hat jetzt ihre Vorstellungen von "innovativer" Verkehrspolitik in dem Papier "Fahrplan Zukunft - Eine Politik für das Auto" präzisiert. Darin steht u.a., dass die Kommunen mehr Autos in die Innenstädte locken sollen, indem sie kostenlose Parkplätze zur Verfügung stellen. Gleichzeitig wollen die Liberalen weniger Fahrradstraßen und weniger Fußgängerzonen. "'Wir brauchen keine Anti-Auto-Politik', sagt Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Seine Partei stelle sich aktiv gegen eine 'grüne Politik der Bevormundung'." [2]

Im Jahr der globalen Hitzerekorde mit einem Pro-Auto-Programm zu kommen, ist schon ziemlich dreist. Aber die FDP ja nicht blöd. Skrupellos, gewiss, doch keineswegs auf den Kopf gefallen. Die Liberalen wissen bestimmt, was sie damit anrichten. Sie stehen hier und können nicht anders. Es geht ihnen nämlich allein darum, ihre Klientel zu bedienen. Koste es, was es wolle. Immer in der Hoffnung, bei Wahlen irgendwie über die 5-Prozent-Hürde zu kommen. Laut Umfrage gibt es zwei Parteien, deren Anhänger mehrheitlich gegen ein Tempolimit sind: die FDP und die AfD. [3] Bei der Frage "Bereitet Ihnen der Klimawandel Sorgen?" sieht es genauso aus. Die, die sich am wenigsten Sorgen machen, sind die Anhänger der FDP und der AfD. [4] Der Aussage "Dem Umweltschutz sollte Vorrang eingeräumt werden, auch wenn dadurch das Wirtschaftswachstum sinkt und Arbeitsplätze verloren gehen" stehen 50 Prozent der FDP-Anhänger ablehnend gegenüber. Nur bei der AfD fällt die Ablehnung mit 72 Prozent stärker aus. [5] Und das Verbrenner-Aus ab 2035 wird von 84 Prozent der FDP-Anhänger abgelehnt. Größer ist die Ablehnung, Sie ahnen es bereits, nur bei AfD und BSW. [6]

Wem gehört die Stadt? Laut FDP den Autofahrern. Und sie ist anscheinend vor allem fürs Einkaufen da, weniger um darin zu leben. Lärm und Abgase? Die Anwohner sollen es eben im Interesse der Gewerbetreibenden ertragen. Hier prallen die gegensätzlichen Interessen hart aufeinander: Die Gewerbetreibenden setzen meist aufs Auto, während die Einwohner immer öfter mehr Grün und verkehrsbefreite Flaniermeilen fordern. Dabei gibt es durchaus ernstzunehmende Hinweise, dass weniger Parkplätze den Handel sogar beleben. Eine Studie der RWTH Aachen (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule) sagt: "Unter anderem in Bern, Bristol und Madrid wurden Umsatzsteigerungen gemessen, nachdem Autos weichen mussten." [7] Das eine (Interesse der Gewerbetreibenden an steigenden Umsätzen) schließt das andere (Interesse der Einwohner an höherer Lebensqualität) also keineswegs aus. Egal, der FDP geht es hauptsächlich um ihre Klientel. Und die ist nun mal starrsinnig pro Auto.

Merke: Nicht die Innovation wird bei der FDP großgeschrieben, sondern der Opportunismus. Aber die FDP hat eigentlich keine andere Wahl, denn würde sie der umweltpolitischen Vernunft folgen, verlöre sie bestimmt auch noch den letzten Rest ihrer Wähler. Insofern wäre es aus der Sicht der FDP geradezu unvernünftig, der Vernunft zu folgen.

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[1] FDP, Das Programm der Freien Demokraten zur Bundestagswahl 2021, Seite 22, PDF-Datei mit 1,5 MB
[2] auto motor sport vom 12.08.2024
[3] Statista vom 12.04.2024
[4] Statista vom 12.01.2024
[5] Tagesspiegel vom 15.05.2024
[6] Forschungsgruppe Wahlen vom 31.05.2024, Politbarometer-Extra Europa Mai 2024
[7] WDR vom 03.11.2023