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| Archiv | Impressum 26. April 2025, von Michael Schöfer Unabhängige Ermittlungsbehörde notwendig Die Polizei ist ausführendes Organ des staatlichen Gewaltmonopols und wie jede Behörde an Recht und Gesetz gebunden. Soweit zumindest die Theorie. Aber es gibt immer wieder Fälle, bei denen das staatliche Gewaltmonopol anscheinend zu Unrecht angewandt wird. Doch dann wird es heikel, denn dann ermitteln Polizisten gegen Polizisten bzw. die eng mit der Polizei verbundene Staatsanwaltschaft. Auf Leitungsebene kennt man sich gut, muss schließlich schon von Gesetzes wegen miteinander kooperieren. Von dort ist es freilich bis zum Vorwurf der Kumpanei nicht mehr weit. Motto: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Was hintenherum besprochen wird, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Und aktenkundig wird es ebenso wenig. In den frühen Morgenstunden des 22. Oktobers 2023 wird in Mannheim ein aus Nigeria stammender Altenpfleger, der mit seinem E-Scooter von der Arbeit auf dem Weg nach Hause ist, von der Polizei kontrolliert. Es gibt Meinungsverschiedenheiten, die Kontrolle eskaliert und der kontrollierende Polizist wendet dabei körperliche Gewalt an. Weitere Polizisten kommen hinzu, der Altenpfleger wird festgenommen und mit Handschellen gefesselt. So etwas ist hierzulande leider alltäglich. Was allerdings nicht alltäglich ist oder zumindest nicht alltäglich sein sollte, sind die Folgen im konkreten Fall. Der Altenpfleger zeigt die Polizisten an, weil er ihr Vorgehen für rechtswidrig hält, doch das Verfahren wird von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Dennoch kommt es zu einer Gerichtsverhandlung, allerdings steht der Altenpfleger vor dem Richter. Auf Anzeige folgte Gegenanzeige. Vorwurf: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB). In der Gerichtsverhandlung stellt sich überraschenderweise heraus: Die Polizisten haben nachweislich gelogen, denn die Kontrolle wurde von einer Überwachungskamera aufgezeichnet. Glück für den Altenpfleger, er wird daraufhin freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft will jedoch nicht erneut gegen die Beamten ermitteln. [1] Es ist echt unglaublich: Hätte es keine Videoaufzeichnung gegeben, wäre der nachweislich unschuldige Altenpfleger vermutlich wegen Widerstand verurteilt worden, weil die Gerichte bei "Aussage gegen Aussage" in der Regel der Polizei noch immer mehr glauben als dem Angeklagten. Vor allem, wenn Letzterer einen ausländisch klingenden Namen hat und entsprechend aussieht. Sollte zwar nicht so sein, Justitia hat nicht ohne Grund eine Augenbinde, kommt aber erfahrungsgemäß immer wieder vor. Unschuldig vorbestraft und eventuell sogar hinter Gittern? Gibt es offenbar nicht nur in Spielfilmen, sondern bedauerlicherweise auch in der Realität. Gegen die Polizisten, die nachweislich gelogen und ihr Gewaltmonopol missbraucht haben, wird nicht einmal ermittelt? Da kann selbst der rechtschaffene Bürger schon einmal am Rechtsstaat verzweifeln. Der Fall schlägt natürlich hier in der Region hohe Wellen, es wurde viel Vertrauen zerstört. Und das nicht grundlos: "'Ich verstehe nicht, warum die Polizei selbst kein Interesse zeigt, solche Fälle aufzuklären', kommentiert eine Leserin den Artikel. 'Unfassbar. Eine Schande für die Polizei.' 'Dieses Verhalten ist absolut unwürdig für einen Polizisten', sagt ein weiterer Leser. Er fordert Konsequenzen: 'Ich hoffe, die beteiligten Beamten werden vom Dienst suspendiert und entlassen.' Denn Polizisten hätten das Gewaltmonopol und damit eine besondere Verantwortung: 'Wer Vertrauen in diese Verantwortung zerstört, hat im Polizeidienst nichts verloren.'" [2] Dabei ist die Bevölkerung, wie die große Anteilnahme für den im Mai 2024 in Mannheim getöteten Polizeibeamten Rouven Laur gezeigt hat, keineswegs grundsätzlich polizeifeindlich eingestellt. Vielleicht gerade deshalb, denn umso größer ist die Enttäuschung. Im
niedersächsischen Oldenburg gab es gerade eine überregional
beachtete Demonstration gegen Polizeigewalt, weil dort ein
21-jähriger Schwarzer von einem Polizeibeamten erschossen
wurde. Fünf Schüsse, drei davon trafen, und zwar alle von
hinten! "Die Initiative 'Gerechtigkeit für Lorenz' fordert
daher eine lückenlose Aufklärung. 'Es darf keine Vertuschung,
keine Bagatellisierung und kein Schweigen geben. Wir wollen
wissen, was genau in jener Nacht passiert ist - und warum ein
junger Mensch sterben musste', heißt es in der Mitteilung.
'Wir erwarten, dass Polizei und Staatsanwaltschaft transparent
und konsequent handeln - im Sinne von Gerechtigkeit.'" [3] Der
Wunsch nach lückenloser Aufklärung ist verständlich, stößt
indes wie in dem eingangs geschilderten Fall auf die gleichen
Vorbehalte: Polizisten ermitteln gegen Polizisten,
Federführung hat die Staatsanwaltschaft. Die Zusammenarbeit
von Staatsanwaltschaft und Polizei ist naturgemäß eng, aber
vielleicht ist sie manchmal zu eng, weil es dadurch an der
notwendigen Objektivität mangelt. Eine Unterstellung, gewiss,
die jedoch in einer solchen Konstellation immer mitschwingt.
In einer Demokratie ist die Polizei für den Bürger da, sie wird ja auch von ihm bezahlt, der Obrigkeitsstaat von anno dazumal ist eigentlich passé. Doch dem nachvollziehbaren Wunsch nach Kontrolle der Polizeiarbeit begegnen insbesondere die Polizeigewerkschaften mit dem genau besehen völlig unsinnigen Vorwurf des "Generalverdachts", sträuben sich mitunter sogar hartnäckig gegen wissenschaftliche Studien. Keiner behauptet, die Polizei würde generell unrechtmäßig handeln. Aber wenn der Verdacht besteht, dass sie es in konkreten Fällen trotz allem getan hat, sollte möglichst objektiv ermittelt werden. Wenn Polizisten nachweislich Gerichte anlügen, ist das Prinzip "Polizisten ermitteln gegen Polizisten" unhaltbar geworden. Deshalb brauchen wir eine unabhängige Ermittlungsbehörde nach britischem Vorbild. Wir brauchen eine Institution wie das Independent Office for Police Conduct (IOPC). Auf seiner Website stellt sich das IOPC wie folgt vor: "Wir sind das Independent Office for Police Conduct, die Aufsichtsbehörde für Polizeibeschwerden in England und Wales. Wir untersuchen die schwerwiegendsten Fälle, darunter auch Todesfälle nach Polizeikontakten, und legen die Standards für die Bearbeitung von Beschwerden durch die Polizei fest. Wir sind unabhängig, das heißt, unsere Entscheidungen werden völlig unabhängig von Polizei und Regierung getroffen. Unsere Vision ist, dass jeder Vertrauen in die Polizeiarbeit haben kann. Um dies zu erreichen, nutzen wir die Erkenntnisse und Empfehlungen unserer Arbeit, um hohe Standards an Professionalität und Verantwortlichkeit in der Polizeiarbeit zu fördern. Unser evidenzbasierter Ansatz fördert Verbesserungen in der Polizeiarbeit zum Wohle der Öffentlichkeit und der Polizei. (…) Wir setzen uns mit großer Leidenschaft dafür ein, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Polizeiarbeit zu stärken, indem wir dafür sorgen, dass die Polizei für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen wird und Lehren daraus gezogen werden. Unsere Arbeit ist anspruchsvoll und profiliert sich. Unsere Mitarbeiter kommen daher aus allen gesellschaftlichen Schichten und verfügen über ein breites Spektrum an Kompetenzen. Wir konzentrieren uns auf die Fakten, sind ausgewogen, fair und völlig unabhängig. Wir sind nicht die Polizei, und tatsächlich haben weniger als 20 Prozent unserer Mitarbeiter zuvor für die Polizei gearbeitet." Nichts ist schädlicher für die Polizei, wenn Bürger vor ihr Angst haben und wenn an ihrer Objektivität sowie an ihrem ordnungsgemäßen Handeln gezweifelt wird. Hierzulande ist das Vertrauen in die Polizei in Umfragen stets hoch, aber das Vertrauen erodiert allmählich, wenn der Verdacht besteht, dass Polizeigewalt oft unzureichend aufgeklärt und noch seltener juristisch geahndet wird. Wenn ein Bürger als Zeuge vor Gericht lügt, wird er zu Recht bestraft. Aber wenn Polizisten das Gleiche tun und obendrein Unschuldige ans Messer liefern, soll das keine Folgen für sie haben? Das darf nicht sein. Bundespolizisten leisten einen Diensteid: "Ich schwöre, das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen." (§ 64 Bundesbeamtengesetz) Bei den Landespolizeien ist der Eid sinngemäß gleich: "Ich schwöre, dass ich mein Amt nach bestem Wissen und Können führen, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, die Landesverfassung und das Recht achten und verteidigen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde." (§ 47 Landesbeamtengesetz Baden-Württemberg) Der Eid darf keine Leerformel sein. Und "Gerechtigkeit gegen jedermann üben" gilt dann eben auch für einen aus Nigeria stammenden Altenpfleger. ----------
[1]
RNZ vom 25.04.2025 (Paywall)
[2]
RNZ vom 26.04.2025
[3] tagesschau.de vom 26.04.2025
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