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23. Mai 2025, von Michael Schöfer
Trumps "Baron von Münchhausen"-Diplomatie


Dass es Donald Trump mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, ist eine schamlose Untertreibung, denn er lügt im Grunde fortwährend. Der Washington Post zufolge hat er während seiner ersten Amtszeit 30.573 falsche oder irreführende Behauptungen aufgestellt. [1] Mit anderen Worten: Trump ist ein notorischer Lügner. Dass sich daran in seiner zweiten Amtszeit etwas ändert, war nicht anzunehmen. Was sich allerdings geändert hat, ist der Kontext, in dem er seine Unwahrheiten verbreitet.

Früher war es eine große Ehre, ins Weiße Haus eingeladen zu werden. Manche Staats- und Regierungschefs mussten lange darauf warten, was schon allein für sich ein diplomatisches Signal war. Aber eben ein subtiles. Andere bekamen nie eine Einladung, und das war unbestreitbar ein deutlicher Fingerzeig. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Mag es hinter den Kulissen auch kontrovers zugehen, nach außen hin bemüht sich die Diplomatie meist um höflich klingende Floskeln, die keinen unnötig brüskieren sollen. Eingeweihte wissen dann trotzdem Bescheid. "Wir hatten einen offenen und fruchtbaren Meinungsaustausch" heißt im Klartext "Wir haben uns furchtbar gestritten und konnten uns nicht einigen". [2]

Donald Trump hat die diplomatischen Umgangsformen neuerdings jeglicher Höflichkeit entkleidet und für alle erkennbar brutalisiert. Ab sofort müssen Staatsgäste bei einer Einladung ins Weiße Haus befürchten, vor der Weltöffentlichkeit bloßgestellt zu werden. Das erste Opfer war der ukrainische Präsident Selenskyj, der Anfang März in einer offenbar gezielten Inszenierung vor aller Augen verbal angegriffen und gedemütigt wurde. [3] Professionelle Diplomaten waren entsetzt, die Öffentlichkeit zumindest in den westlichen Demokratien ebenfalls. So ging man bislang nicht einmal mit Gegnern um, von Verbündeten ganz zu schweigen. Das war so selbst bei Trump nicht zu erwarten gewesen, schält sich aber mittlerweile bei ihm als neue diplomatische Strategie heraus.

Er scheint Gefallen daran gefunden zu haben. Das zweite Opfer war nämlich unlängst der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa, dem Trump im Oval Office öffentlich einen Völkermord an weißen Südafrikanern vorwarf. Als Beleg präsentierte Donald Trump Zeitungsartikel und zeigte einen Film, das Ganze war also mit voller Absicht geplant gewesen. Nun kann man in puncto Südafrika in der Tat unterschiedlicher Meinung sein und darf dabei auch nicht mit Kritik sparen, aber einen Völkermord gibt es dort nach Aussagen von Experten nicht. Südafrika hat vielmehr ein riesiges Problem mit der Kriminalität, die aber alle Südafrikaner trifft. Farbige im Übrigen viel häufiger als Weiße. Und lediglich 0,2 Prozent der Morde stehen dort in Verbindung mit Farmen. [4]

Was aber das irrwitzige Schauspiel im Oval Office rückblickend noch viel skurriler macht: Die angeblichen Belege von Donald Trump entpuppen sich mittlerweile als dreiste Lügen. "'Das sind alles weiße Bauern, die begraben werden', sagte Trump und hielt während des umstrittenen Treffens mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa im Oval Office den Ausdruck eines Artikels mit einem Foto hoch." Doch das Foto war der Screenshot eines Videos der Nachrichtenagentur Reuters. "Es zeigt humanitäre Helfer beim Heben von Leichensäcken in der kongolesischen Stadt Goma. Das Bild stammt aus Reuters-Aufnahmen, die nach tödlichen Kämpfen mit den von Ruanda unterstützten M23-Rebellen aufgenommen wurden." [5]

Erstens waren die Opfer also keine Weißen, zweitens keine Südafrikaner und drittens liegt Goma in Luftlinie 2.704 km von der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria entfernt in der Demokratische Republik Kongo, die wiederum mit Südafrika noch nicht einmal über eine gemeinsame Landgrenze verfügt (dazwischen liegen Sambia und Simbabwe). Falsche Opfer, falsche Täter, falscher Tatort - die Trump-Administration ist wirklich eine unfassbar plump agierende Dilettantentruppe. Nicht einmal beim Fälschen von angeblichen Beweismitteln zeigt sie Geschick oder gibt sich wenigstens Mühe. Anscheinend alles bloß hirnlos zusammengestückeltes Copy and paste-Gewurschtel und glücklicherweise leicht zu entlarven. Die Blamage liegt jetzt ganz auf Seiten Trumps.

Das ist aber in keinster Weise mit den mangelhaften Geografiekenntnissen von Trump zu entschuldigen ("Belgien ist eine wunderschöne Stadt und ein herrlicher Ort."). Es ist daher nicht die sprichwörtliche Dummheit des US-Präsidenten gewesen, sondern eine vorsätzliche Verleumdung mit fingierten Beweisen. Außerdem war das Bild mit den Leichensäcken nicht die einzige Falschdarstellung von Trump. Dass die Trump-Administration so dreist lügt und nicht einmal davor zurückschreckt, einen Staatsgast im Weißen Haus öffentlich vorzuführen, ist ebenso beispiellos wie haarsträubend. Da weiß man gar nicht, was man dazu überhaupt noch sagen soll. Muss Bundeskanzler Friedrich Merz befürchten, demnächst bei einem Staatsbesuch in den USA mit Verschwörungstheorien aus dem - laut Verfassungsschutz - gesichert rechtsextremistischen Compact-Magazin konfrontiert zu werden? Es ist leider keineswegs auszuschließen. Vizepräsident J.D. Vance hat sich ja bereits mehrfach über die Europäer im Allgemeinen und die Deutschen im Besonderen beklagt. Was die Fakten angeht nicht immer korrekt.

Staatskunst à la Trump ist garniert mit der Brutalität eines Schulhof-Bullys und trägt das Gütesiegel einer "Baron von Münchhausen"-Diplomatie. Einfach unglaublich. Es würde mich kein bisschen wundern, wenn es künftig als Ehre gelten würde, NICHT ins Weiße Haus eingeladen zu werden. Prophylaktisch kann man eigentlich nur jedem raten, sich vom Oval Office möglichst fernzuhalten. Oder dort zumindest auf alles gefasst zu sein und auf etwaige Vorwürfe clever zu kontern.

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[1] Washington Post, Stand der Datenbank 20.01.2021
[2] Michael Bothe in der Süddeutschen vom 30.11.2010
[3] tagesschau.de vom 01.03.2025
[4] CNN vom 21.05.2025
[5] The Guardian vom 23.05.2025