Home | Archiv | Impressum



05. Juni 2025, von Michael Schöfer
Für wen ist meine Gewerkschaft wirklich da?


Gewerkschaften sind die eigenständig organisierte Interessenvertretung der Arbeitnehmer - entweder im Betrieb oder in der Branche. Auch wenn man in den Medien hauptsächlich von den DGB-Gewerkschaften liest oder hört, gibt es trotzdem keine Einheitsgewerkschaft. Aber in wohl keinem Bereich existiert eine solche Zersplitterung wie in dem vergleichsweise kleinen der Polizei (bundesweit lediglich 339.000 Beschäftigte). Da konkurrieren gleich drei Gewerkschaften miteinander um Mitglieder und um Stimmen bei Personalratswahlen: die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) und der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK).

Vielfalt kann eine Bereicherung sein, muss aber nicht. Was für die einen eine Schwächung durch Zersplitterung ist, deuten andere als Anreiz, sich tatsächlich aktiv für die Kolleginnen und Kollegen einzusetzen. Monopolartige Strukturen bringen es bekanntlich mit sich, verkrustet und träge zu sein. Wie auch immer, der Aussage, dass die Gewerkschaften hauptsächlich für die von ihnen vertretenen Kolleginnen und Kollegen da sind, dürfte keine der drei widersprechen. Zumindest offiziell. Allerdings sind diesbezüglich zuletzt Zweifel laut geworden, wie bei den Reaktionen auf den Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts zu den Zurückweisungen von Asylbewerbern an den Grenzen besonders deutlich wurde.

Das Urteil bringe Polizisten in eine heikle Lage, sagt Andreas Roßkopf, Vorsitzender der GdP für den Bezirk Bundespolizei. "Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte es in der ARD-Talkshow 'Maischberger' als 'vollkommen abwegig' bezeichnet, dass Polizisten für ihr Handeln juristisch belangt werden könnten. Roßkopf sagte dazu im WDR, da müsse er 'ein Stück weit tatsächlich widersprechen. Dobrindt habe zwar recht, wenn er sage, dass die Polizisten eine klare Weisung hätten. Aber: 'Wenn klar wäre und klar ist, dass diese Weisung letztendlich rechtswidrig ist, dann müssen Polizeibeamte sogenannte Remonstrationspflichten (...) wahrnehmen.' Sie müssten es ausdrücklich kritisieren, um aus der Verantwortung herauszukommen. Die Konsequenz daraus sei: 'Wir brauchen eine schriftliche Klarstellung, dass die Kollegen in dieser unsicheren Situation klar auf Weisung handeln und auch nicht persönlich für ihre Handlungen im Nachgang eines Gerichtsverfahrens in dieser Sache belangt werden können.'" [1] Rechtsgrundlage ist § 63 Bundesbeamtengesetz, der diese Vorgehensweise zwingend vorschreibt.

Ganz anders reagiert freilich die Konkurrenzgewerkschaft DPolG: "Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) unterstützt Bundesinnenminister Alexander Dobrindt in dessen Haltung zu Grenzkontrollen und Zurückweisungen, daran ändere auch die Einzelfallentscheidung eines Verwaltungsgerichts nichts, so der Stellvertretende Bundesvorsitzende und Chef der DPolG Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz. Falls eine Zurückweisung im Einzelfall scheitere, sollte unmittelbar eine Ingewahrsamnahme erfolgen, so die DPolG." Bundesvorsitzender Rainer Wendt bekräftigt: "Alexander Dobrindt hat Recht, anders werden wir die Kontrolle über die Migration nicht zurückerlangen." [2] Bundespolizeibeamte müssten jetzt "keine juristischen Nachteile fürchten" behauptet Teggatz' Stellvertreter Manuel Ostermann.

Wobei Juristen genau daran fundierte Zweifel äußern. Entgegen solchen Verlautbarungen spreche nämlich einiges dafür, "dass Innenminister Dobrindt sich und seine Beamtinnen und Beamten in unsicheres Fahrwasser führt", schreibt Dr. Patrick Heinemann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, im juristischen Onlinemagazin Legal Tribune Online: "Sollte sich eine gefestigte verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung im Sinne der jüngsten Berliner Entscheidungen herausbilden", könnte "ab einem gewissen Punkt daher selbst Remonstrieren nicht mehr reichen". Und das betrifft nicht nur Polizeibeamte, sondern auch den Innenminister selbst. "Spätestens wenn ein zweites oder drittes Gericht Dobrindts Zurückweisungen kassiert hat, ist nicht nur die Mär vom Einzelfall Geschichte, sondern der Minister wird sich auch mit der Frage seiner eigenen strafrechtlichen Verantwortlichkeit beschäftigen müssen." [3]

Natürlich darf man über die Asylpolitik unterschiedlicher Meinung sein, doch wenn dabei geltendes Recht gebrochen wird, überschreitet man die rote Linie. Die Frage, die sich die Polizeigewerkschaften stellen sollten, ist: Vertrete ich bloß die Interessen meiner Kolleginnen und Kollegen oder mache ich rechtskonservative Politik zugunsten der Union, die aber auf Kosten der von mir vertretenen Beamten gehen könnte? Hat die DPolG die juristischen Folgen für die ausführenden Polizeibeamten wirklich bis in ihre letzte Konsequenz hinein durchdacht? Wir haben schließlich eine unabhängige Justiz, die sich den Weisungen des Bundesinnenministers entzieht. Das nennt man übrigens Gewaltenteilung und Rechtsstaat.

Falls eine Polizeigewerkschaft - warum auch immer - glaubt, dem juristisch fragwürdigen Kurs von Alexander Dobrindt beipflichten zu müssen, lässt sie m.E. die eigenen Mitglieder im Regen stehen. Dann ist der von ihr gewährte Rechtsschutz nur das Pflaster, das die Wunde überdeckt. Reicht das? Im Ernstfall wohl kaum. Die GdP scheint sich wenigstens des juristischen Risikos bewusst zu sein und versucht, ihre Mitglieder vor denkbaren Folgen zu bewahren. Ob die schriftliche Klarstellung des Bundesinnenministers vor Gericht tatsächlich hilft, steht auf einem anderen Blatt. Als Polizist würde ich mir jedenfalls genau anschauen, für wen meine Gewerkschaft wirklich da ist.

----------

[1] Focus-Online vom 04.06.2025
[2] DPolG vom 03.06.2025
[3] LTO vom 04.06.2025