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08. Juni 2025, von Michael Schöfer
Die Volksvertreter picken sich mal wieder die Rosinen heraus


Die Diäten der Bundestagsabgeordneten werden am 1. Juli 2025 um 5,4 Prozent erhöht, und die Höhe der Diätenanpassung folge der Lohnentwicklung, lesen wir in der Presse. Auch die Renten werden am 1. Juli 2025 erhöht, aber obgleich hier ebenfalls die Lohnentwicklung maßgeblich ist, sind es bloß 3,74 Prozent. Wie kommt das? Wenn die Erhöhung zum gleichen Zeitpunkt erfolgt und man dabei die gleiche Berechnungsgrundlage nimmt, müsste eigentlich prozentual auch das gleiche Ergebnis herauskommen. Aber falsch gedacht, die Anpassung der Renten ist niedriger als die Anpassung der Diäten der Bundestagsabgeordneten. Es gibt nämlich feine Unterschiede, der Teufel liegt bekanntlich im Detail.

Berechnungsgrundlage der Rentenanpassung: "Basis für die Anpassung der Renten ist die Lohnentwicklung. Maßgeblich hierfür sind insbesondere die Daten des Statistischen Bundesamts zur Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer nach den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR). In diesem Wert sind jedoch auch Entgelte enthalten, aus denen keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet werden (beispielsweise Entgelte oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze und die Bezüge der Beamten). Um der tatsächlichen Einnahmenentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung Rechnung zu tragen, wird zusätzlich – neben der Lohnentwicklung nach den VGR – die Entwicklung der zur Rentenversicherung beitragspflichtigen Entgelte bei der Ermittlung der für die Rentenanpassung relevanten Lohnentwicklung berücksichtigt. Neben der anpassungsrelevanten Lohnentwicklung werden zwei weitere wichtige Entwicklungen in die Berechnung der Rentenanpassung einbezogen: Zum einen wird die Veränderung der Aufwendungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Aufbau ihrer Altersversorgung auf die Anpassung der Renten übertragen (sogenannter Beitragssatzfaktor). Zum anderen wird durch den Nachhaltigkeitsfaktor die Entwicklung des zahlenmäßigen Verhältnisses von Rentnerinnen und Rentnern zu Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern bei der Anpassung der Renten berücksichtigt." [1]

Berechnungsgrundlage der Diätenanpassung: "Die monatliche Entschädigung nach Absatz 1 wird jährlich zum 1. Juli angepasst. Grundlage ist die Entwicklung des vom Statistischen Bundesamt ermittelten Nominallohnindex, den der Präsident des Statistischen Bundesamtes jährlich bis zum 31. März an den Präsidenten des Deutschen Bundestages übermittelt. Dieser veröffentlicht den angepassten Betrag der Entschädigung in einer Bundestagsdrucksache", steht in § 11 Abs. 4 des Abgeordnetengesetzes. Der Nominallohnindex bildet die Entwicklung der Bruttomonatsverdienste einschließlich der Sonderzahlungen von allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ab, und die Nominallöhne sind dem Statistischen Bundesamt zufolge im Jahr 2024 um 5,4 Prozent gestiegen.

Man sieht schon auf den ersten Blick: Lohnentwicklung ist nicht gleich Lohnentwicklung. Die Berechnungsgrundlage der Diätenanpassung ist relativ einfach: Entwicklung des Nominallohnindex = Diätenerhöhung. Die Berechnungsgrundlage der Rentenanpassung ist im Vergleich dazu wesentlich komplexer, denn hier fließen bestimmte Teile der Lohnentwicklung nicht in die Berechnung mit ein. Während etwa bei den Diäten die gesamten Bruttomonatsverdienste angerechnet werden, also auch Sonderzahlungen, die nicht der Sozialabgabenpflicht unterliegen (z.B. die Inflationsausgleichsprämie bis 3.000 €), werden bei den Renten die Bruttomonatsverdienste oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze und die Bezüge der Beamten herausgerechnet. Außerdem wird noch der Beitragssatzfaktor und der Nachhaltigkeitsfaktor angewandt. Für Laien erschließt sich das jedenfalls nicht auf den ersten Blick, weil man dazu wissen muss, wie hoch die Bruttomonatsverdienste waren, für die keine Sozialbeiträge geleistet wurden. Die Summe der Beamtenbezüge ist ebenfalls zu ermitteln. Und wer kann schon den Beitragssatzfaktor und den Nachhaltigkeitsfaktor berechnen? Die Rentenanpassungsformel sei intransparent, meint selbst der Bundesrechnungshof. Visualisiert sieht die Formel wie folgt aus [2]:



Ach so, na dann, alles klar! Das Urteil des Bundesrechnungshofs, dass die Rentenanpassungsformel intransparent sei, ist absolut zutreffend. Zumindest gilt das für Menschen ohne Mathematikstudium.

Beide Anpassungen richten sich - grob gesagt - nach der Lohnentwicklung, aber die Diäten werden um 5,4 Prozent erhöht und die Renten bloß um 3,74 Prozent. Es ist wie so oft: Die Volksvertreter gönnen sich einen zusätzlichen Schluck aus der Pulle, den sie anderen jedoch vorenthalten. Um nicht missverstanden zu werden: Dass auch Abgeordnete ein Anrecht auf Diätenerhöhungen haben, wird von mir gar nicht bestritten. Aber es ist eben ungerecht, anderen mithilfe von komplizierten und intransparenten Berechnungsmethoden weniger zu gönnen. Aktuell gibt es hierzulande 21,4 Millionen Rentner (Stand: 01.07.2024), und viele davon sind, anders als die Abgeordneten, keineswegs auf Rosen gebettet. Menschen über 65 sind stärker armutsgefährdet als der Durchschnitt der Bevölkerung (19,4 % gegenüber 15,5 %). Man muss es deshalb leider so hart formulieren: Die Volksvertreter picken sich mal wieder die Rosinen heraus. Und das ist nicht in Ordnung.

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[1] Bundesministerium für Arbeit, Wie funktioniert die jährliche Rentenanpassung?
[2] SGB VI, § 68 Aktueller Rentenwert