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02. Juli 2025, von Michael Schöfer
Wie die Lemminge? Nein, schlimmer!

Ich weiß nicht, wie die Lemminge so in Verruf geraten konnten, weil die Menschheit im Vergleich zu den Wühlmäusen viel bereitwilliger über die Klippe springt. Und das keineswegs unabsichtlich, sondern in vollem Bewusstsein. Im Unterschied zum Mythos des kollektiven Suizids der Lemminge ist das sogar eine wissenschaftlich belegte Tatsache. Aber uns bringen ja nicht einmal die Häufigkeit und die Intensität der aktuellen Hitzeperioden zum Nachdenken, geschweige denn zum Handeln. Beweis: Noch immer gibt es kein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen, wir dürfen also weiterhin mit durchgedrücktem Gaspedal an die Wand fahren. Und die kommt rasch näher. Schier unaufhaltsam.

Erinnern Sie sich noch an den Jahrhundertsommer 2003? Das NASA Goddard Institute for Space Studies (GISS) dokumentiert auf seiner Website die globale Oberflächentemperatur seit dem Jahr 1880, der Index gibt die monatliche und jährliche Abweichung vom Referenzzeitraum (1951-1980) wieder. 2003 lag der Jahresdurchschnitt bei 62. Im vergangenen Jahr, dem bislang wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen, lag er bei 129. Die Abweichung vom Referenzzeitraum war daher 2024 doppelt so hoch wie im Jahr des Jahrhundertsommers.



Die National Oceanic & Atmospheric Administration (NOAA), eine offizielle Regierungsorganisation der USA, misst seit 1959 auf dem Mauna Loa/Hawaii den Anteil von Kohlendioxid (CO2) in der Erdatmosphäre. Damals lag er im Jahresdurchschnitt bei 315,98 ppm (parts per million, Anteile pro Million), 2024 erreichte der CO2-Anteil 424,61 ppm und hat sich somit seit Beginn der Messreihe um gut ein Drittel (+34,38 %) erhöht. Tendenz steigend: 2023 und 2024 wurde der bislang höchste jährliche Anstieg registriert, das Tempo beschleunigt sich also rapide. Und es ist keine Umkehr in Sicht.



Die Menschheit rast nicht wie die Lemminge auf den Abgrund zu, sie befindet sich schon im freien Fall. Allerdings wollen das nur die wenigsten wahrhaben. Obgleich viele Ziele im Massentourismus ersticken, waren erstmals 24.000 Passagierflugzeuge gleichzeitig in der Luft, meldete der ORF vor kurzem. "Im Schnitt finden täglich 100.000 kommerzielle Flüge mit Millionen Passagieren und Passagierinnen an Bord statt. Pro Minute gibt es weltweit etwa 70 Starts." [1] Dem Kraftfahrtbundesamt zufolge waren im Mai 2025 die spritschluckenden SUVs mit einem Anteil von 33,6 Prozent das beliebteste Fahrzeugsegment. [2] Wir leben, als gäbe es kein Morgen mehr. Nach uns die Sintflut.

Die Wirtschaft müsse geschützt werden, sagen unsere Politiker. Stimmt absolut, wenigstens die Wirtschaft sollte überleben, die Menschen sind dabei offenbar nicht so wichtig. Die nüchterne Feststellung ist: Die Menschheit schafft sich gerade selbst ab. Und das mit der von ihr gewohnten Gründlichkeit. Angesichts dessen bleibt einem bloß noch übrig, sich in den Zynismus zu flüchten.

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[1] ORF vom 29.06.2025
[2] KBA, Pressemitteilung vom 04.06.2025