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| Archiv | Impressum 02. September 2025, von Michael Schöfer Anti-Boomer-Kampagne In jüngster Zeit wird eine massive Kampagne gegen die Boomer gefahren, das sind die Jahrgänge 1956 bis 1965, die sich heute größtenteils bereits im Rentenalter befinden. Ziel dieser Kampagne, bei der sich auf wissenschaftlicher Seite DIW-Präsident Marcel Fratzscher und auf publizistischer Seite die Süddeutsche Zeitung hervortun, ist in Wahrheit der Angriff auf den Sozialstaat. Fratzscher will eine Sonderabgabe (Boomer-Soli) für "besserverdienende" Rentner einführen. Einzelheiten dazu sind dem DIW-Wochenbericht Nr. 29/2025 zu entnehmen. Doch was sind "besserverdienende" Rentner? Das DIW stellt drei Szenarien vor: In Szenario 1 werden die Entgeltpunkte anders anders als bisher berechnet. Hier bekommen Rentner ab einer Schwelle von 1.679 Euro Rente weniger Geld ausgezahlt als ohne Neuberechnung. Brutto wohlgemerkt, denn davon gehen noch die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge und natürlich ggf. die Einkommensteuer ab. Der Unterschied in Szenario 2 ist die Einbeziehung von Vermögenseinkünften, einmal ohne (2a) und einmal mit (2b). Je nach Szenario beginnen diese bei 902 Euro bzw. 1.048 Euro, für alles darüber ist eine Sonderabgabe von 10 Prozent abzuführen. Konkrete Zahlen liefert das DIW im Wochenbericht nicht, man kann die Umverteilung allenfalls anhand der Schaubilder ungefähr erahnen. Schon allein das Umverteilungskonzept, ab 902 Euro etwas abgezogen zu bekommen, bloß um dann bei den beiden unteren Fünftel etwas (wie viel genau?) zurückzubekommen, trägt nicht zur Übersichtlichkeit bei. Wenn die Bruttorente bis 1.679 Euro steigen soll, dann heißt das auch, dass man ab 1.679 Euro (netto sind das im Rahmen der nachgelagerten Besteuerung je nach Besteuerungsanteil ca. 1.400 €) im Minus ist. Und mit netto 1.400 Euro ist man in meinen Augen nicht wohlhabend. Unter "besserverdienend" verstehe ich ehrlich gesagt etwas anderes. Wenn es vom DIW nicht ernst gemeint wäre, könnte man es für Satire halten. "Die Boomer haben die politische und wirtschaftliche Macht und wollen die Verantwortung für die eigenen Fehler nicht übernehmen und keine schmerzvollen Reformen umsetzen. Es ist politisch verführerisch, die Verantwortung an die junge Generation abzugeben, die Schulden zu erhöhen und die Lösung der Probleme zu vertagen. Das ist jedoch ein Irrweg, der in die Katastrophe führen kann. Die Babyboomer müssen endlich Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. (...) Ich schlage einen Generationenvertrag vor, der nicht spaltet, sondern versöhnt", sagt der DIW-Präsident in einem Interview mit der Süddeutschen. [1] Darüber hinaus sollen alle Rentnerinnen und Rentner ein soziales Pflichtjahr leisten: In der Pflege, bei der Bundeswehr oder in einer Bildungsstätte. [2] Es ist falsch, eine ganze Generation über einen Kamm zu scheren und pauschal für die Politik diverser Bundesregierungen verantwortlich zu machen. Was ist mit denen, die weder Kohl, Schröder, Merkel oder Scholz gewählt haben? Trotzdem in Haftung nehmen? Das ist blanker Unsinn. Die Boomer hätten zu wenig Kinder bekommen, weshalb sie einen finanziellen Ausgleich leisten sollen. Doch stimmt das? Sehen wir uns an, wie sich die Geburtenrate (Lebendgeborene pro 1.000 Einwohner) entwickelt hat. Deutlich ist der sogenannte Pillenknick ab Mitte der sechziger Jahre zu erkennen, für den aber die Paare verantwortlich waren, die in den dreißiger und vierziger Jahren geboren wurden. Die Boomer (Jg. 1956 bis 1965), die nun an der Schwelle zur Rente stehen, waren daran jedoch völlig unschuldig, denn sie wurden gar nicht gefragt. Können sie etwas dafür, dass ihre Jahrgänge die mit Abstand stärksten sind? Selbstverständlich nicht. Ihre Reproduktionsphase fand im Wesentlichen zwischen 1976 (Jg. 1956 = 20 Jahre alt) und 2000 (Jg. 1965 = 35 Jahre alt) statt. Und wie man leicht erkennen kann, bekamen die Boomer im Schnitt mehr Kinder als die Generationen danach (die Reproduktionsphase der Boomer überschneidet sich ab Mitte der 80er Jahre teilweise mit der Reproduktionsphase der Generation X). Fratzschers Vorwurf ist also nachweislich falsch, trotzdem sollen die Boomer bestraft werden? ![]()
Die Babyboomer müssen endlich Verantwortung für ihr Handeln übernehmen? Ich finde, das haben sie gemacht. Sie haben zwar weniger Kinder bekommen als vor der Einführung der Pille, aber dennoch mehr als die Jüngeren. Außerdem haben sie überwiegend bereits Wehr- oder Zivildienst geleistet (die Wehrpflicht wurde erst 2011 ausgesetzt) und somit ihren Teil zur Verteidigung der Demokratie geleistet. Dafür, sie nun ein weiteres Mal heranzuziehen, gibt es keinen vernünftigen Grund. Gerechtigkeit? Der Generationen Z (Jg. 1996 bis 2009) blieb der Wehrdienst bislang erspart, was will sie mehr? Anders
als Marcel Fratzscher beteuert spaltet sein Vorschlag, weil er
Jung gegen Alt auszuspielen versucht. In Wahrheit verläuft die
Kluft nämlich zwischen Reich und Arm. Die reichsten 10 Prozent
besitzen laut Bundesbank mehr als 60 Prozent des Vermögens,
und die Situation im Land wäre heute gewiss eine andere, hätte
man zum Beispiel Steuerschlupflöcher geschlossen, die
Steuerhinterziehung konsequent bekämpft und einen Teil des
Reichtums von oben nach unten umverteilt. Aber die Lobbyisten
haben bei der Politik die Partikularinteressen der Reichen
erfolgreich durchgesetzt. Doch nun soll der vergleichsweise
arme Rentner dafür verantwortlich sein und die Zeche zahlen?
Geht's noch? Der Boomer-Soli ist obendrein faktisch eine
Enteignung, schließlich wurden dafür einst Rentenbeiträge
gezahlt. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge sind
Rentenansprüche durch die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes
geschützt. Deshalb könne man Szenario 1 nicht rasch
realisieren, gibt selbst das DIW zu. Aber gilt das nicht auch
für die Sonderabgabe? Und wo bleibt in den Szenarien 2a und 2b
der Gleichbehandlungsgrundsatz? Was ist die Rechtfertigung
dafür, eine ganze Generation zu bestrafen? Ich habe daher
große Zweifel, dass der genau besehen höchst unsoziale
Vorschlag von Fratzscher verfassungsgemäß ist.
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[1]
Süddeutsche vom 31.08.2025 (Paywall)
[2] ZDF vom 26.08.2025
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