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09. September 2025, von Michael Schöfer
Tax the rich (besteuert die Reichen)

Emmanuel Macron ist an der verfahrenen Lage des Landes keineswegs schuldlos. Im Gegenteil, als er in Frankreich Präsident wurde, senkte er die Steuern für die Reichen. Die Vermögensteuer wurde abgeschafft und die Körperschaftsteuer für Unternehmen von 33 auf 25 Prozent gesenkt. Beim gemeinen Volk erhöhte er dagegen die Benzin- und Dieselsteuer, wunderte sich dann aber über die rasch aufflackernden Gelbwesten-Proteste. Doch die haben nicht viel verändert, Macron war und ist ein Präsident der Reichen. Das Verhältnis des Präsidenten zu Bernard Arnault soll eng sein, entsprechend groß wird der Einfluss des französischen Milliardärs auf die Politik eingeschätzt. [1] Anderes anzunehmen wäre auch naiv. Mit normalen Franzosen dürfte der Präsident allerdings weniger verkehren, wie das halt beim Establishment so üblich ist. Gleich zu Gleich gesellt sich gern.

Dem Wirtschaftsmagazin Challenges zufolge beläuft sich das aktuelle Gesamtvermögen der 500 reichsten Franzosen auf 1,128 Billionen Euro [2], das ist genau ein Drittel der kumulierten Staatsverschuldung des Landes in Höhe von 3,345 Billionen Euro. [3] Arm und Reich sind, wie andernorts, auch in Frankreich stark auseinandergedriftet. Doch wen wollte der glücklose Premierminister François Bayrou zur Kasse bitten? Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslose. Die Wiedereinführung der Vermögensteuer war im Bayrou-Plan nicht vorgesehen. Schuld an der ganzen Misere sind seiner Meinung nach ohnehin die egoistischen Babyboomer. Ganz so, als gäbe es innerhalb einer Generation keine Unterschiede. Das war dumm im Ergebnis und unterkomplex in der Analyse.

Auf den Gedanken, dass viele so arm sind, weil wenige so reich sind, kann ein Mensch wie Bayrou natürlich nicht kommen. Und der wirtschaftsliberale Präsident der Reichen, Emmanuel Macron, noch viel weniger. Die Pferdeäpfel-Theorie, dass hinten auch etwas für die ärmeren Schichten herauskommt, wenn man das Pferd vorne ordentlich füttert, gilt längst als widerlegt. Die Kluft wächst beständig. Laut Eurostat sind die Realeinkommen in der Amtszeit von Macron zwischen 2017 und 2024 um 3,12 Prozent gesunken. [4] Das Vermögen der Reichen hingegen wuchs enorm.

Ein Beispiel: Das Vermögen von Bernard Arnault, dem der Luxusgüterkonzern LVMH (Louis Vuitton, Christian Dior, Moet & Chandon, Sephora, Tiffany) gehört, wurde von Forbes im Jahr 2017 auf 41,5 Mrd. US-Dollar geschätzt. [5] Anfang 2024 besaß der Franzose angeblich 226,2 Mrd. US-Dollar. [6] Ein Zuwachs von atemberaubenden 445 Prozent. Würde Arnault jeden Tag eine Million Dollar ausgeben, wäre sein Vermögen rechnerisch erst im Jahr 2644 aufgebraucht. Zur zeitlichen Einordnung: Vor 619 Jahren (im Jahr 1406) begann in China der dritte Kaiser der Ming-Dynastie gerade mit dem Bau der "Verbotenen Stadt" in Peking. Während die einen also noch Jahrhunderte von ihrem Vermögen in Saus und Braus weiterleben könnten, selbst wenn ab sofort nichts mehr dazukäme (was unrealistisch ist), haben die anderen immer stärker zu kämpfen. Hohe Mieten, steigende Preise, zurückgehende Realeinkommen.

Dass einem unter solchen Umständen irgendwann die Gesellschaft um die Ohren fliegt, ist keine Überraschung. Nicht ohne Grund unterstützen Milliardäre vermehrt autoritäre Politiker, weil sie sich davon die Bewahrung ihrer privilegierten Stellung versprechen. Schutz vor dem Streben "des Pöbels" nach Gerechtigkeit. Denn was das angeht sind ihnen demokratische Zustände, zumindest wenn sie zu höheren Einkommen-, Erbschaft- und Vermögensteuern führen, eher lästig. Die Reichen haben sich schon von jeher auch mit Diktaturen zu arrangieren gewusst, nicht selten sogar stark von ihnen profitiert.

Es gibt trotzdem nur eine demokratische Alternative: Tax the rich, besteuert die Reichen. Und zwar ordentlich. Geld ist genug vorhanden, es ist bloß in den falschen Händen. Wenn sich die Gesellschaft dagegen entscheidet, mehr Verteilungsgerechtigkeit herzustellen, um die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich wieder ein bisschen zu schließen, werden die Fliehkräfte weiter zunehmen und die Gesellschaft am Ende zerreißen. Donald Trump ist in den USA bloß der Vorbote einer neuen Zeit, in der sich die meisten nicht mehr wohlfühlen dürften. Es sei denn, sie besitzen Millionen oder Milliarden.

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[1] Tages-Anzeiger vom 02.01.2025
[2] FashionUnited Media vom 14.07.2025
[3] tagesschau.de vom 08.09.2025
[4] Eurostat, Realeinkommen, letzte Datenaktualisierung am 24.07.2025 23:00
[5] Spiegel-Online vom 20.03.2017
[6] Forbes vom 01.04.2024