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19. November 2025, von Michael Schöfer
Die Analyse von Hitlers DNA ist Unfug


Die Person Adolf Hitler scheint auch 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch interessant zu sein und Neues zu bieten. Wie waren solche unsäglichen Verbrechen möglich? Das wird man wohl nie wirklich begreifen. In der Fernsehdokumentation "Hitler's DNA: Blueprint of a Dictator" will man dieser Frage jedoch mit der Analyse von Hitlers DNA nachgehen, das Blut stammt angeblich vom Sofa, auf dem sich Hitler 1945 erschoss.

Ich will mich gar nicht damit aufhalten, ob der Diktator tatsächlich am Kallmann-Syndrom litt. Selbst wenn, erklärt das in keinster Weise die Verbrechen der Nazis, weil diese sowieso nicht nur auf einen Einzelnen zurückzuführen sind. Hitlers glühender Antisemitismus und seine Bereitschaft zur industriellen Vernichtung von Menschen wären ohne einen entsprechenden gesellschaftlichen Kontext kaum realisierbar gewesen - genetische Schäden in seiner DNA hin oder her. Die Pathologisierung seiner Person führt folglich in die Irre.

Was mich allerdings stutzig gemacht hat, war folgende Passage in dem Artikel über die Fernsehdokumentation: "Gerücht widerlegt: Hitler war kein Jude. Zumindest ein hartnäckiges Gerücht konnte die Gen-Analyse ausräumen: Hitlers angebliche jüdische Abstammung. Noch 2022 hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow behauptet, Hitler habe einen jüdischen Großvater gehabt. Laut DNA-Analyse gebe es jetzt aber klare genetische Beweise für Hitlers österreichisch-deutsche Wurzeln." [1]

Wir erinnern uns: Thilo Sarrazin erregte vor geraumer Zeit Aufsehen mit der Behauptung: "Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden." [2] Was Experten indes postwendend als Unfug bezeichneten. Zwar gibt es innerhalb von bestimmten Gruppen genetische Übereinstimmungen, ein "Juden-Gen", das ausschließlich Juden besitzen, andere jedoch nicht, hat aber bislang keiner gefunden. Trotz intensiver Suche.

Dass Pfälzer, deren Familien seit Jahrhunderten in der Pfalz leben, genetische Übereinstimmungen aufweisen, verwundert wenig. Das ist generell typisch für Gruppen, die häufig untereinander heiraten und sich deshalb wenig mit anderen vermischen. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass es nicht doch Pfälzer gibt, deren Vorfahren etwa im Dreißigjährigen Krieg in der Pfalz hängengeblieben sind und die eine ganz andere genetische Ausstattung aufweisen.

Die Nazis versuchten ihren Rassenwahn mit der Behauptung zu untermauern, Juden gehörten einer bestimmten (aus Nazi-Sicht "minderwertigen") Rasse an. Sie unterteilten die Menschen in "Arier" (mit "deutschem" oder "artverwandtem" Blut) und "Volljuden", "Dreivierteljuden", "Halbjuden", "Vierteljuden" sowie "Achteljuden", was wissenschaftlich kompletter Unsinn war. Daran hat auch der später entdeckte Vererbungsmechanismus mithilfe der Desoxyribonukleinsäure (DNA) nichts geändert.

Es gibt kein "Juden-Gen". Was es gibt, sind gruppenspezifische Übereinstimmungen, die aber keineswegs ausschließen, dass Menschen, denen diese Genvarianten fehlen, nicht doch Juden sein können. Zumal das Judentum eine Religion ist, der man auch durch Konversion beitreten kann. Wenn ein katholisches deutsches "Fräulein" nach dem Krieg einen jüdischen Amerikaner geheiratet hat und daraufhin zum Judentum konvertierte, was sagt dann die DNA ihrer Kinder und Enkelkinder über deren Abstammung oder Religionszugehörigkeit aus? Solange man sich nicht unbewusst an der Rassenlehre der Nazis orientiert: nichts! Gar nichts!

Was hat man also in Hitlers DNA, falls das Blut überhaupt tatsächlich von ihm stammt, konkret gefunden? Ein "Juden-Gen" konnte man mangels Existenz nicht finden. Und wenn man bei ihm keine Genmerkmale gefunden hat, die Juden häufig aufweisen, ist das ebenso wenig ein stichhaltiger Beweis, weil Juden diese Merkmale zwar aufweisen können, aber nicht unbedingt aufweisen müssen. Die genetische Analyse von Hitlers Blut erklärt daher nichts - weder die Ursache seiner Verbrechen noch seine Abstammung.

Juden sind Menschen. Punkt. Und Menschen, die keine Juden sind, sind ebenfalls Menschen. Punkt. Wir sind vor dem Gesetz alle gleich, keiner ist mehr oder weniger wert als der andere. Wir unterscheiden uns einzig und allein durch unsere Begabungen, unsere Erziehung und das gesellschaftliche Umfeld, in das wir hineingeboren wurden. Und natürlich durch unser Handeln. Deshalb gilt: Adolf Hitler war ein Massenmörder - völlig unabhängig davon, welche Ergebnisse die Analyse seiner DNA liefert.

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[1] DW vom 15.11.2025, Hitlers DNA: Was Analysen wirklich über den Diktator zeigen
[2] Berliner Morgenpost vom 29.08.2010